piwik no script img

Archiv-Artikel

Einwanderer: Nachteile schon in der Kita

Gleiche Leistung, aber schlechtere Noten – Bildungsforscher sehen Migrantenkinder in Deutschland in Schule, Kindergarten und Berufsausbildung im Nachteil. Wenige Tage vor dem Integrationsgipfel der Bundeskanzlerin gewinnt der Bericht an Brisanz

AUS BERLIN KAI SCHÖNEBERG

Die Ungleichheit fängt schon bei den Kleinkindern an: Nur 56 Prozent der Dreijährigen mit Migrantenhintergrund besuchen in Deutschland einen Kindergarten. Bei den deutschen Knirpsen sind es immerhin 72 Prozent. „Da besteht erheblicher Aufholbedarf“, sagte Thomas Rauschenbach vom Deutschen Jugendinstitut gestern bei einer Tagung mit 100 Bildungspolitikern- und forschern in Berlin.

Die Tagung wollte die deutsche Antwort auf die internationalen PISA- und IGLU-Schulstudien, in denen die Bildungsniveaus verglichen werden, debattieren: Den über 300 Seiten dicken Wälzer „Bildung in Deutschland“, den 100 Wissenschaftler für die Konferenz der Landeskultusminister und das Bundesbildungsministerium erstellt haben.

Besonderer Focus der Studie: Die strukturellen Nachteile von Migrantenkindern im Bildungswesen. Bei gleicher Leistung erhalten Kinder von Eltern mit ausländischer Herkunft dem Bericht zufolge schon in der Grundschule schlechtere Noten. Inzwischen geht jedes 4. Kind mit Migrationshintergrund auf eine Schule, in der weniger als die Hälfte der Kinder deutsche Eltern hat.

Die Probleme setzten sich bis zur Ausbildung fort, stellte Martin Baethge vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung fest. Der Ausländeranteil bei den Auszubildenden sei seit 1994 nicht nur von 9,8 auf 5,6 Prozent gesunken. „Unabhängig von der Fachleistung“, sagte Baethge, „haben deutsche Jugendliche auch eine 2,5 Mal höhere Chance, einen Ausbildungsplatz zu bekommen.“ Deshalb dürften sich „die Anstrengungen in der Sprachförderung nicht nur auf den Vorschul- und Schulbereich beschränken. Wir brauchen sie bis hin zur Weiterbildung.“

Brisanz gewinnen die Ergebnisse von „Bildung in Deutschland“ im Vorfeld des „Integrationsgipfels“, zu dem Kanzlerin Angela Merkel am 14. Juli ins Kanzleramt geladen hat. Bund, Länder und Kommunen wollen dort mit Migrantenorganisationen und Kirchen einen „nationalen Aktionsplan“ für die Eingliederung von Einwanderern erarbeiten.

Wie ernst die Politiker ihre eigene Bildungsstudie nehmen, zeigte das Podium gestern: Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) hatte nur ihren Staatssekretär geschickt. Für die Länderseite sagte der bayrische Kultus-Staatssekretär Josef Erhard, die Umsetzung der wissenschaftlichen Empfehlungen sei Ländersache. Sein Ministerium werde die Schlussfolgerungen bald im Internet veröffentlichen. Welche, ließ er offen.

Für den Integrationsgipfel formieren sich indes Parteien und Lobbys. Nordrhein-Westfalen preschte als erstes Bundesland mit einem 20-Punkte-Papier vor. Das Land fordert darin Einbürgerungsfeiern und islamischen Unterricht als Schulfach in deutscher Sprache. Zudem will Integrationsminister Armin Laschet (CDU) verstärkt Migranten als Lehrer einstellen und Abiturienten aus Zuwandererfamilien ermuntern, das Lehramtsstudium aufzunehmen. Der Vorsitzende des Deutsch-Türkischen Forums der Landes-CDU ging sogar noch weiter: Bülent Arslan trat dafür ein, deutsche Dichter und Denker „mehr in das Nationalgefühl einzubeziehen“ und zu Beginn und zum Ende eines Schuljahres die deutsche Nationalhymne zu singen.

Auch Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt forderte mehr Anstrengungen bei der Integration. „Wir können es uns nicht leisten, das Potenzial von Millionen Menschen in unserem Land zu vergeuden“, sagte Hundt in einem Interview. Die Wirtschaft sei auf qualifizierte und engagierte Mitarbeiter gleich welcher Herkunft angewiesen.