: Musik im Kopf, Musik im Herzen
Manusch Weiss und seine Gitarre, auf der – vielleicht – Django Reinhardt einst spielte: Das „Cafe Royal Salonorchester“ führt nicht nur gute Musiker zusammen, sondern auch zwei Geschichten: Die einer außergewöhnlichen Freundschaft und die eines außergewöhnlichen Instruments
von MAXIMILIAN PROBST
Wenn sie ein Klavier wäre, würde einem das Wort Klimperkiste einfallen. Weil es sich aber um eine Gitarre handelt, fehlen einem die Worte. Sobald Manusch Weiss in ihre Saiten greift, perlen Töne dahin, die weich sind, aber glänzen, die klar umrissen, aber doch poetisch sind, als trügen sie eine Patina: voller Geschichte der Klang, aber doch so frisch und spritzig, als wäre die Gitarre gerade erst aus der Werkstatt Mario Maccaferris gekommen. Djangos Gitarre.
Django Reinhardt hat sie in den 30er Jahren gespielt, mit dem Modell den Jazz neu erfunden: europäischen Jazz, der die amerikanische Musik mit folkloristischen Elementen der Zigeuner, der Wiener-Kaffehausmusik, des französischen Chansons und der klassischen Musik anreicherte. Diese Tradition fortzuführen und weiterzuentwickeln ist auch das Ziel der Hamburger Sinti-Familie Weiss. Musik machen ihre Mitglieder seit Generationen. Seit kurzem unter dem Namen „Cafe Royal Salonorchester“.
Man könnte der Geschichte von Manusch Weiss‘ Gitarre nachgehen und bekäme damit ein Bild des Lebens und Musizierens der Sinti seit den 30er Jahren. An welchen Abenden hat Django sie gespielt? Als Django mit dem Geiger Stéphan Grappelli und anderen unter dem Namen „Hot Club de France“ in der École Normale de Musique in Paris debütierte? Oder später, als er eines Nachts im Morgengrauen mit Louis Armstrong im Pariser Bricktop-Club zu einer Jam-Session zusammentraf? Oder auf der Höhe seines Ruhmes, Anfang der 40er Jahre, schon unter dem Vichy-Regime?
Da hatte das breite französische Publikum den Swing für sich entdeckt, weil er an eine freie und weit entfernte, leichtere Welt denken ließ. Djangos Konzerte in und um Paris waren in dieser Zeit so erfolgreich, dass er sich eine der prunkvollsten Wohnungen auf der Champs Élysées leisten konnte. Und wer weiß, ob es nicht die Gitarre ist, die Django im Schrank ließ, als er endlich nach Amerika fuhr, im November 1946, um mit Duke Ellington aufzutreten; die Gitarre, die er nicht mitnahm, weil er überzeugt war, die amerikanischen Gitarrenbauer würden es sich als Ehre anrechnen, ihm eine zu schenken.
Dass er sich darin täuschte, bildete den Auftakt einer verkorksten Tournee. Alles ist möglich. Auch, dass sie bloß sein Bruder, Joseph Reinhardt spielte, der dritte Gitarrist des „Hot Club de France“. Gesichert ist jedenfalls, dass jener Joseph die Gitarre in den 60ern an den Barden Eckhardt Karlhofer verkaufte. Und gesichert ist, dass die Gitarre in dessen Händen nichts zu suchen hatte: Karlhofer klampfte darauf das Blödelliedgut eines Otto Waalkes. Sich von ihr trennen wollte er allerdings nur für den Liebhaberpreis von 60.000 Mark.
Bis er den Zigeuner-Gitarristen Prinzo Weiss traf: Überzeugt, einen legitimen Erben der Musik Reinhardts gefunden zu haben, schenkte er ihm das Instrument. Mit Prinzos Tod dann ging die Gitarre an seinen Sohn Manusch über. „Die hat ‘ne Seele“ sagt Manusch heute, und Clemens Rating, zweiter Gitarrist des Cafe Royal Salonorchesters, fügt an: „Sie spiegelt auch die Seele dessen, der auf ihr spielt. Ein guter Gitarrist klingt darauf noch viel besser, ein schlechter noch viel schlechter. Manusch und diese Gitarre: da haben sich zwei gefunden.“
Wem Fetische fremd sind, wer der Objektwelt nicht traut, würde die Geschichte des Salonorchesters anders erzählen. Der würde von der Tradition erzählen: Wie der Großvater den Jungen schon mit drei oder vier Jahren die Gitarre in die Hand drückt. Wie dann gemeinsam auf den Familienfesten musiziert wird. Der würde erzählen, wie Manusch ein paar Jahre für sich herumgeklimpert hat, mit 12 Jahren für ein halbes Jahr Musik nach Noten gelernt, die Notenschrift schnellstmöglich wieder verlernt hat und seitdem nur noch nach Gefühl und Gehör spielt: „Denn nur so hat man das Feeling und den Drive für die Musik“, sagt Manusch, der in Wilhelmsburg an einem Zigeuner-Platz lebt, den sein aus 45 Familien bestehender Clan 1982 bezogen hat.
Was ist schon eine Gitarre, wenn es um Menschen, um Freundschaften geht, und zwar um gänzlich unwahrscheinliche? Da ist Clemens Rating, der zweite Gitarrist, ohne den es das Salonorchester nicht gäbe. In den noblen Hamburger Elbvororten aufgewachsen, hörte er mit 14 im Radio zum ersten Mal Zigeunerjazz. Und ist seitdem nicht mehr davon losgekommen. In Boston studierte er Gitarre und mischte die Stadt mit der geliebten Musik auf. Dann spielte er ein ganzes Jahr in Japan den Zigeuner – eine Figur, die dort so fremd ist, dass er als Original durchging. Zurück in Hamburg, hörte er von Manusch und rief ihn an. Menschlich war das Verständnis schlagartig da. Eigentlich wollte Manusch gerade auf elektrische Gitarre umsteigen. „Clemens zwang mich aber geradezu, bei der akustischen Gitarre zu bleiben“, erzählt Manusch, „und das stellte sich dann auch sehr schnell als richtig heraus.“ Mit den anderen Musikern der Familie Weiss, allesamt Söhne, Neffen, Enkel und Urenkel von Kesa Weiss, der seinerzeit selbst ein berühmtes Orchester geführt hatte, formten sie schließlich das Cafe Royal Salonorchester. Ihre erste CD stellen sie heute im Hamburger Literaturhaus vor.
Wie schnell Clemens Rating Eingang in die Welt der Zigeuner gefunden hat, erstaunt ihn manchmal selbst. „Die Zigeuner haben ja den Deutschen gegenüber genauso viele Vorurteile, wie die Deutschen gegenüber den Zigeunern“, sagt er und lacht. Überhaupt: Zigeuner? Ja, denn von Roma und Sinti zu reden, sei doch nur die oberflächlichste Political Correctness. „Das ist die verlogenste Art, andere zu behandeln.“ Vielleicht, weil sich dahinter oft Berührungsängste verbergen, letztlich der Versuch, das Fremde zu domestizieren. „Der Andere ohne seine Andersheit“, würde der Philosoph Slavoj Žižek dazu sagen. Rating weiß, dass die Welt der Zigeuner eine vollkommen andere ist als seine eigene. Wer dann die Herzlichkeit der beiden im Umgang miteinander sieht, muss zu diesem Schluss kommen: Dass man Unterschiede nicht einzuebnen trachtet, ist die Bedingung dafür, sich auf gleicher Höhe zu begegnen. Nicht nur im Jazz. Auch im Leben.
Infos unter www.caferoyal.de