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Archiv-Artikel

Die leisen Anwälte der Käfighennen

Der Verein „Provieh“ in Heikendorf ist der einzige in Deutschland, der sich für die Rechte von Nutztieren einsetzt. Doch nach dem mühsam erkämpften Verbot der Käfighaltung von Legehennen legen die Halter die Bestimmungen zu ihren Gunsten aus

aus HeikendorfESTHER GEISSLINGER

Es sei gar nicht zu verfehlen, „unser kleines Hexenhaus“, sagt Mechthild Oertel. Direkt an der Hauptstraße des kleinen Örtchens Heikendorf bei Kiel: ein graues Gebäude, ein Schild an der Wand, von dem Schwein, Kuh und Huhn herabschauen. Das Haus haben noch die Schwestern Bartling ausgesucht und zur Geschäftsstelle des von ihnen gegründeten Vereins gemacht, das Logo ist neu, genau wie der Name: „Provieh“ – wer weiß, ob sich die inzwischen verstorbenen Margarete und Olga Bartling auf so ein neckisches Wortspiel eingelassen hätten. Denn eigentlich heißt die Organisation „Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung“. Seit 1973 gibt es diesen VgtM, er ist damit der älteste Verein Deutschlands, der sich für die Rechte von Nutztieren einsetzt. Und er ist so gut wie unbekannt.

„Wir sind kein lauter Verband“, gibt Sandra Gulla zu. Die Vorsitzende, Juristin, und wie alle im Vorstand ehrenamtlich für „Provieh“ tätig, lebt und arbeitet im Sauerland. Zum Verein kam sie auf dem Umweg über Haustiere. Aber sie hat festgestellt, dass sie da nichts bewegen kann. Anders im Nutztierschutz: „Da lässt sich politisch viel machen“, berichtet Mechthild Oertel über die Arbeit bei „ProVieh“. Viel Arbeit, wenig Ehre: „Es ist spektakulärer und leichter, einen Hund von der Laterne loszubinden und ihn aufzufüttern“, meint Oertel. „Bei den Nutztieren geht es um Formalien, gesetzliche Vorschriften, Tierseuchen. Das lässt sich nicht schön darstellen.“

Aber es ist notwendig: Das fanden schon die Schwestern Bartling, die „eisernen Ladys“. Margarete, Oberlandwirtschaftsrätin im Agrarministerium, sah die Massentierhaltung mit allen ihren Folgen entstehen. Als sie in den Ruhestand ging, gründete sie gemeinsam mit Olga, Konrektorin der Heikendorfer Realschule, den Verein. Ab da luden die Schwestern zu Familienfesten ein, bei denen die Gäste Briefe schreiben und Marken kleben mussten: Post für die Mitglieder, deren Zahl schnell wuchs, für die Fachleute, die den Verein mit Gutachten unterstützten, für die Politiker und Verwaltungsstäbe, die den VgtM bald schätzen und fürchten lernten: „Wir haben immer wieder auf Probleme aufmerksam gemacht“, sagt Sandra Gulla. „Wir haben nie große Kampagnen geführt, sondern auf fachlich fundierte Aufklärung gesetzt.“

Das wird auch so bleiben, aber die Resonanz hat sich geändert: „Wir haben nicht mehr das Gefühl, dass wir bei der Regierung auf offene Ohren stoßen“, sagt Sandra Gulla. „Wirtschaftlichkeit gilt als einziges Argument. Und da kommen wir nur mit Stellungnahmen nicht weiter.“

Der Verein sucht die Öffentlichkeit – ein großer erster Schritt war eine Petition gegen die Käfighaltung von Legehennen, die gerade mit großem Erfolg beendet worden ist (siehe Kasten). Der Kampf um artgerechte Hühnerhaltung gehört zu den Dauerthemen der „Proviehs“: Vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das am 6. Juli 1999 die Käfighaltung der Legehennen verbot, hatten Vereinsmitglieder nicht nur Gutachten eingereicht, sondern dem Gericht auch praktisch gezeigt, was die Massentierhaltung bedeutet, unter anderem mit einem Standardkäfig, in dem vier ausgestopfte Hühner hockten.

Das Gericht war beeindruckt. Der Verein hatte allerdings nicht selbst klagen dürfen: Im Tierschutz gibt es kein so genanntes Verbandsklagerecht. Da die Betroffenen – die Tiere – nicht selbst zum Richter gehen, bleibt höchstens die Hoffnung, dass in Grundsatzfragen ein Bundesland das Verfassungsgericht anruft: „Sonst gilt: Wo kein Kläger, da kein Richter“, sagt Gulla.

Zurzeit werden die mühsam erkämpften Positionen zurückgenommen. Zwar ist von Volieren, von Kleingruppenhaltung die Rede, für Sandra Gulla ist das aber „absolute Augenwischerei und Täuschung des Verbrauchers“. Die Begriffe dienten nur dazu, das böse Wort „Käfig“ zu vermeiden. Zwar sei die Grundfläche leicht vergrößert, die Situation der Hennen bleibe aber gleich. „Es heißt, sie sollten Flächen zum Picken erhalten. Aber auf 30 Millionen Hennen kommen 500 Betreuer – man kann sich vorstellen, wie so ein Stück Plastikrasen im Käfig bald aussieht. Die Tiere müssten sich aufrichten, mit den Flügeln schlagen können. Das alles ist nicht möglich.“ Und sie verspricht: „Wir geben nicht auf.“

Mechthild Oertel sieht auch Erfolge: „Wir bilden Allianzen.“ So waren bei der Petition gegen die Käfighaltung zahlreiche Vereine, aber auch Bio-Ladenketten und Züchter dabei. Durch neue Kampagnen entstehe mehr Öffentlichkeit, auch die Verbraucher würden immer wacher: „Junge Familien, die unbelastete Nahrung wollen.“

Dass Tiere gehalten und gegessen werden, dagegen haben die Proviehs grundsätzlich nichts: Oertel züchtet selbst Galloway-Rinder.