DIE GRÜNEN: IHRE PROFILLOSIGKEIT ERHÖHT DIE KOALITIONSMÖGLICHKEITEN
: Fischers Weisheiten

Es ist schon erstaunlich, welch ein politisches Erdbeben ein beiläufig hingeworfenes Wort des ehemaligen Bundesaußenministers bei den Grünen immer noch auslösen kann. Selbst ein schnödes Treffen von Parteichef Fritz Kuhn mit seinem FDP-Kollegen Guido Westerwelle wurde gestern im politischen Berlin zum „Geheimkontakt“ stilisiert – nachdem Joschka Fischer seine Parteifreunde am Wochenende darauf hingewiesen hatte, dass ein Bündnis mit der rechtsliberalen Konkurrenz derzeit die einzige Koalitionsoption sei. Offen ist demnach nur, ob SPD oder Union die Dritte im Bunde sein würde.

Dabei hat Fischer nur ausgesprochen, was seit der letzten Bundestagswahl ohnehin jeder weiß, der die politischen Grundrechenarten auch nur annähernd beherrscht. Wenn sich die Linkspartei im deutschen Parteienspektrum dauerhaft etabliert – und darauf deutet derzeit vieles hin –, dann werden die klassischen Farbkombinationen Schwarz-Gelb und Rot-Grün auf Bundesebene kaum noch Mehrheiten gewinnen können. Umso weniger, als die beiden Volksparteien ohnehin in einem galoppierenden Niedergang begriffen sind, den die große Koalition noch verstärkt.

Die Grünen sind dabei nur scheinbar in der wenig komfortablen Lage, dass sich neoliberale FDP und staatsgläubige Linkspartei mit klarem Profil an den Rändern des politischen Spektrums etabliert haben, während sie selbst fast ein Jahr nach der Wahl noch immer nicht recht wissen, wie sie sich gegenüber der großen Koalition profilieren können. Parteistrategisch verwandelt sich dieser vermeintliche Nachteil allerdings in den entschiedenen Vorteil, dass eine Ablösung der großen Koalition nur unter ihrer Mitwirkung denkbar ist.

Dass sich Rechts- und Linksliberale in einer Regierung vereinigen, ist in anderen europäischen Ländern im Übrigen nichts Ungewöhnliches. Ein besonders pointiertes Programm wird man von einer solchen Dreiparteienregierung zwar nicht erwarten können. Aber schlimmer als mit der Großen Koalition wird es in dieser Hinsicht kaum kommen können. RALPH BOLLMANN