Kabuler Luftschlösser

TALIBAN Die Pläne zur Taliban-Wiedereingliederung und die Übergabe der Verantwortung an Präsident Karsai fördern die Korruption in Afghanistan

BERLIN taz | Die Umsetzung des Afghanischen Friedens- und Reintegrationsplans soll eine dreiviertel Milliarde US-Dollar kosten. Der Plan, wie Taliban-Chef Mullah Mohammad Omars Fußtruppen abspenstig gemacht werden sollen, ist eines der zentralen Dokumente, die am Dienstag auf der Afghanistan-Konferenz in Kabul verabschiedet wurden. Und in den schwer zu lesenden 80 Seiten im Projektjargon ist leicht der Satz zu übersehen, dass 50 Millionen US-Dollar davon direkt Präsident Hamid Karsai zur Verfügung stehen werden.

Der Plan besteht aus mehreren Phasen. Zunächst sollen örtliche Behörden Kontakte zu Aufständischen anbahnen. Wer sich der Regierung anschließen will, wird vom Talib zum „Wiedereinzugliedernden“. Er wird „durchleuchtet“ (wegen möglicher Infiltration), samt Waffen registriert und, falls nötig, humanitär versorgt. Den Gemeinden, in welche die reumütigen Kämpfer zurückkehren, wird ein „Menü von Konfliktlösungsoptionen“ präsentiert: darunter Projekte zur Wasser-, Gesundheits- und Bildungsversorgung, Alphabetisierungs-, Berufsbildungs- und Staatsbürgerschaftskurse, Stipendien für die Türkei, Ägypten und Malaysia oder Eingliederung in die Sicherheitskräfte.

Für minder Qualifizierte gibt es Arbeit in den neu zu bildenden Friedens- und Landwirtschaftskorps – eine Art ABM. Schließlich sollen „strategische Kommunikatoren“ die Bevölkerung davon überzeugen, dass die Regierung in Kabul „ihr Bestes tut, Afghanistan dauerhaften Frieden und Stabilität zu bringen“.

Seit dem ersten Entwurf, welcher der Londoner Afghanistan-Konferenz im Januar vorgelegt wurde, hat sich das Dokument vor allem in einem geändert: Alles, was für Kabul schwierig umzusetzen ist, wurde fallengelassen, alles für Kabul Attraktive behalten – vor allem die Finanzierung. Wenn die versammelten Außenminister diesem Plan zustimmen, begeben sie sich mit verbundenen Augen auf einen ungewissen Weg. Denn von der in London vereinbarten Rechenschaftslegung Karsais über Maßnahmen gegen die Korruption war jetzt nichts zu hören. Im Gegenteil: Die Webseite des Kabuler Außenamtes spricht sogar von „übertriebenen“ Darstellungen.

Ähnlich unrealistisch klingt das Kerndokument Nr. 2: Der „Gemeinsame Rahmen für einen Übergang“, sprich: der Verantwortung für alle Regierungsangelegenheiten an die Afghanen. Die westlichen Regierungen meinen damit vor allem den Sicherheitsbereich. Die Nato/Isaf-Truppen sollen schrittweise abgezogen und durch einheimische Soldaten und Polizisten ersetzt werden. Bundesaußenminister Guido Westerwelle annoncierte ja bereits in seiner Regierungserklärung Anfang Juli, dass 2011 „drei, vielleicht sogar vier Provinzen“ übergeben werden sollen, davon „mindestens eine in unserem Verantwortungsbereich“. Im Klartext: Berlin will seinen Bundeswehr-Außenposten in Badachschan dichtmachen. Afghanistans Drogenbarone, von denen einige in dieser Pamirprovinz sitzen, andere in der Zentralregierung, dürften erfreut sein. THOMAS RUTTIG

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