: „Mit geht’s besser“
DOSIS Der aktuelle Streit über Homöopathie wird ideologisch geführt, sagt Claudia Witt, Professorin für Alternativmedizin. Ein Gespräch über Zucker, Placebo und Götter in Weiß
■ Das ist Claudia Witt: Die Medizinerin, Jahrgang 1969, hat an der Berliner Charité seit Mai 2008 Deutschlands einzige Professur inne, die sich der Erforschung von Alternativmedizin widmet. Sie untersuchte schon in ihrer Promotion homöopathische Hochpotenzen. Verheiratet ist sie mit dem Maler Christian Faul.
■ Das ist Homöopathie: Bei dieser alternativ-medizinischen Heilmethode sollen Substanzen, die bei gesunden Menschen Symptome einer Krankheit hervorrufen, in extrem verdünnter Form kranken Menschen helfen. Anhänger der Homöopathie nehmen die Mittel meist in Form von Globuli, kleinen Zuckerkugeln ein.
INTERVIEW MARIA ROSSBAUER
taz: Frau Witt, vertragen sich Schulmedizin und Homöopathie?
Claudia Witt: Schulmedizin als Basis zu haben, bedeutet ja auch, zu erkennen, wann Schulmedizin besser ist oder beides kombiniert werden kann. In der Regel nehmen Patienten alternative Medizin, also Homöopathie, Akupunktur oder auch andere Naturheilverfahren, zusätzlich zur Schulmedizin in Anspruch.
Ergibt das Sinn?
Das ergibt absolut Sinn, viel mehr Sinn als Entweder-oder. Eine chronische Erkrankung wird ja heutzutage komplex behandelt. Bei Rückenschmerzen gibt man nicht nur Schmerzmittel, sondern es gibt Empfehlungen, wie sich ein Patient verhalten soll, Physiotherapie und dazu noch eine Schmerztherapie. Und wenn der Patient dann auch noch Akupunktur oder was anderes dazu kombiniert, dann hat er trotzdem eine solide konventionelle Versorgung und das andere sozusagen on top. Krebspatienten zum Beispiel nehmen Homöopathie zusätzlich und nicht anstelle einer Chemotherapie in Anspruch. Alles andere sind wirklich absolute Ausnahmefälle.
Wählen viele Menschen nicht Homöopathie, weil sie von der Schulmedizin frustriert sind?
Ich kenne keine Studien darüber, weshalb sich Patienten für die Homöopathie entscheiden. Der Frust wäre eine reine Hypothese. Ich kann es also nicht wirklich bestätigen. Sie merken schon, bei uns geht es nicht um Meinung, wenn man forscht und dazu Stellung nimmt. Es geht darum, ob es Daten gibt oder nicht. Ich unterrichte auch Forschungsmethodik und fange meine Kurse immer mit dem Spruch an: „In God I trust, everyone else has to show data.“ Ich bin einfach nicht mit Vermutungen, sondern mit Daten zu überzeugen.
Wie sehen Sie die aktuelle Debatte über die Finanzierung von Homöopathie durch Krankenkassen: Ist das ein Glaubenskrieg?
Ich halte sie vor allem für unsachlich geführt. Der Punkt ist: Die gesamte Diskussion wird im Moment eben nicht auf Basis von Daten geführt. Sondern sehr ideologisch, auf der Ebene von Vermutungen. Eigentlich ist es eine Debatte über die Wirksamkeit der Homöopathie, besonders von homöopathischen Arzneimitteln. Da hat man sich dann eine Diskussionsebene gesucht, bei der man möglichst viel Staub aufwirbeln konnte.
Etwa die Hälfte aller Krankenkassen bietet Zusatzleistungen für alternative Medizin an. Warum zahlen Kassen für etwas, von dem kein medizinischer Wirkmechanismus nachgewiesen ist?
Die Krankenkassen kennen die Studien, die gezeigt haben, dass es den Patienten mit homöopathischen Behandlungen besser geht. Ich vermute, sie orientieren sich am Gesamtergebnis. Da die Versicherten zum Teil gern Homöopathie haben wollen, ist es also auch ein Wettbewerbsvorteil für die Krankenkassen.
Sollte das Geld aus unserem Gesundheitssystem nicht lieber für die Behandlung von ernsthaften Erkrankungen ausgegeben werden?
Die Patienten, die zum homöopathischen Arzt gehen, haben ernsthafte Erkrankungen. Die Fakten sind da sehr klar. Sie haben chronische Leiden und sind schon lange schulmedizinisch vorbehandelt. Wir reden hier nicht über Bagatellerkrankungen. Da nutzen die Patienten zwar auch Homöopathie, gehen aber selbst in die Apotheke und kaufen sich die homöopathischen Arzneimittel. Damit gehen sie normalerweise nicht zum homöopathischen Arzt.
Sparen wir denn tatsächlich Geld, wenn wir homöopathische Präparate aus dem Leistungskatalog der Kassen streichen?
Das würde ich auch gern wissen. Also, wenn der gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Karl Lauterbach, diese Zahlen hätte, würde ich mich sehr freuen, wenn ich sie von ihm bekommen könnte. Er ist schließlich derjenige, der nun Homöopathie aus dem Angebot der Krankenkassen streichen will.
Dabei zahlen doch gar nicht alle Kassen für Homöopathie.
Ja, es ist keine generelle Krankenkassenleistung. Die einzigen Daten, die ich in Deutschland zu den Kosten von Homöopathie kenne, sind die aus einer Studie, die unser Institut zusammen mit der Innungskrankenkasse Hamburg gemacht hat. Da haben wir homöopathische und konventionelle Behandlung für bestimmte Krankheiten verglichen und danach auch die Kosten analysiert. Dabei haben wir gesehen, dass das zusätzliche Angebot von Homöopathie im Rahmen dieses Modellprojekts nicht zu mehr Kosten geführt hat, da es an anderen Punkten Einsparungen gab. Aber das ist eine kleine Studie und nicht repräsentativ. Man bräuchte eigentlich Analysen im größeren Stil, um diese Diskussion überhaupt auf einer sinnvollen Datenbasis zu führen. So etwas geht nicht aus dem Bauch heraus.
Sie haben an der Berliner Charité Deutschlands einzige Professur zur Forschung für alternative Medizin inne. Wo stehen Sie denn in der Debatte?
Hauptsächlich bin ich Forscherin. Ich behandle ja auch bewusst keine Patienten, um mir den Abstand zu bewahren. Ich diskutiere aber viel mit den Ärzten, die alternativmedizinische Therapien anwenden, damit unsere Studien, die verschiedene medizinische Therapien vergleichen, auch die Realität abbilden. Aber ich möchte selber nicht beides tun: behandeln und neutral analysieren müssen. Um von einem negativen Ergebnis nicht so frustriert zu sein – und vielleicht auch von einem positiven nicht so erfreut –, dass es die weitere Forschung zu sehr in eine Richtung drängt.
Sehen Sie sich als Vermittlerin?
Das ist zumindest etwas, was ich als Wissenschaftlerin versuche. Geht es um Homöopathie, merkt man ganz klar: Jeder hat eine Meinung dazu und die ist entweder pro oder kontra. Und wenn man wie ich in der Mitte steht, ist das gegebenenfalls beiden Seiten nicht unbedingt recht. Im Moment wird sehr laut geschrien. Das heißt aber nicht, dass die, die am lautesten schreien, immer recht haben.
Sprechen wir doch mal über die Wirksamkeit. Wie funktionieren eigentlich Globuli?
Es gibt bis jetzt keine plausible Antwort, wie etwas wirken könnte, in dem quasi nichts drin ist.
Ist wirklich kein Wirkstoff in homöopathischen Präparaten?
Man muss bei der Homöopathie zwei Formen unterscheiden: Es gibt sogenannte Niedrigpotenzen, also zum Beispiel die Komplexmittel, in denen verschiedene Arzneimittel zusammengemischt werden. Da ist noch was drin. Die emotionale Diskussion dreht sich aber um die sogenannten Hochpotenzen, die so hoch mit einem Alkohol-Wasser-Gemisch verdünnt sind, dass wirklich nichts mehr vom Ausgangsstoff erhalten ist. Eingenommen werden dann meist Zuckerkügelchen aus Saccharose, die mit dieser Flüssigkeit benetzt wurden.
Sind es dann Placebo-Effekte, die etwas bewirken?
Man kann davon ausgehen, dass der Placebo-Effekt auf jeden Fall eine große Rolle spielt. Er tritt aber auch in der Schulmedizin auf. Egal, was Sie einem Patienten geben: die Umgebung, die Art, wie Arzt und Patient miteinander kommunizieren, aber auch die Erwartung des Patienten und des Arztes, wirken sich auf das Therapieergebnis aus.
Muss man also an Homöopathie glauben, damit sie hilft?
Das ist eine gute Frage. Dazu wäre Forschung notwendig. Aus der Akupunktur wissen wir, dass Patienten mit höherer Erwartung auch ein besseres Therapieergebnis haben. Das konnten wir aus unseren Studien analysieren. Aber in der Homöopathie sind die Daten, um diese Analyse zu machen, bisher nicht vorhanden.
Warum gibt es dazu keine Studien?
Es gibt für die Homöopathie Studien zu verschiedenen Fragen. Wir konnten in unseren beobachten, dass die Effekte von homöopathischen und schulmedizinischen Behandlungen vergleichbar waren. Studien, die homöopathische Arzneimittel mit einem Placebo vergleichen, zeigen aber widersprüchliche Ergebnisse. Die meisten dieser Studien, vor allem die älteren, haben methodische Schwächen. Sie sind also nicht wirklich beweiskräftig. Bisher ist nicht eindeutig belegt, dass sich homöopathische Arzneimittel von Placebo unterscheiden.
Sie erforschen seit 1997 die Heilkraft von Alternativmedizin. Und konnten nur herausfinden, dass es hilft, wissen aber nicht, warum?
Ja. Man weiß nicht, wie es wirkt. Aber es gibt Belege dafür, dass es Patienten, die sich homöopathisch behandeln lassen, besser geht. In dem Warum stecken viele Fragen: Natürlich die nach dem Wirkmechanismus, aber auch ob andere Faktoren, die in der komplexen Homöopathiebehandlung eine Rolle spielen, von Wirkung sind.
Ist es frustrierend, an etwas zu forschen, von dem Sie keine Ahnung haben, wie es funktioniert?
Ich hab ja früher auch Grundlagenforschung zur Homöopathie gemacht, also versucht herauszufinden, wie die genauen Wirkmechanismen sind. Am Ende war es schon frustrierend, zu etwas zu forschen, was sozusagen eine Blackbox ist. Deshalb bin ich in die klinische Forschung gewechselt. Diese ist viel fassbarer, weil man dort misst, ob es dem Patienten besser geht oder nicht.
Nehmen Sie selbst eigentlich auch Globuli?
Ich bin, Gott sei Dank, sehr gesund, ich nehme eigentlich kaum Medikamente. Wenn ich mal akut Kopfschmerzen habe und funktionieren muss, dann nehm ich eine Schmerztablette.
Also, Sie stehen dem Ganzen grundsätzlich erst mal skeptisch gegenüber.
Die Skepsis hat sich dann irgendwann in Neugierde verwandelt. Wenn sie auf der einen Seite wissen, dass etwas naturwissenschaftlich eigentlich gar nicht funktionieren kann, auf der anderen Seite aber sehen, wie es einem guten Bekannten mit einer homöopathischen Behandlung deutlich besser geht, nachdem er lange vorher schulmedizinisch in Behandlung war, dann wird man neugierig. Grundsätzlich bin ich deshalb erst mal allen Therapien gegenüber offen.
Das genügte als Anstoß, sich auf alternative Medizin zu spezialisieren?
Ja. Es hat mich einfach fasziniert und zur Forschung angeregt. Schon in meiner Jugend hatte ich viele Freunde, die Homöopathie genutzt haben. Wenn man dann im Studium steckt und sich den ganzen Tag mit dem Thema Medizin auseinandersetzt, will man schon begreifen, was da eigentlich los ist.
Es war für Sie also nie ein Widerspruch, sich für klassische Medizin und für Homöopathie zu interessieren?
Der Widerspruch ist ein naturwissenschaftlicher. Den habe ich bis heute. Ich hatte Chemie und Mathematik im Abitur, ich bin sehr naturwissenschaftlich geprägt.
Haben Sie denn auf Ihre Fragen von damals Antworten gefunden?
Eher Teilantworten, die wieder neue Fragen aufwerfen. Mein Mann ist Maler, ich interessiere mich auch für moderne Kunst. Auch hier machen mich Arbeiten neugierig, die erst einmal nicht so klar zugänglich sind. Vielleicht liegt es daran, Dinge erforschen zu wollen. Eine Art Entdeckerehrgeiz.
Aber noch mal: Warum sollte man Homöopathie so viel Bedeutung beimessen, sie erforschen?
Es gibt keinen Bereich in der Medizin, der von der Bevölkerung so stark in Anspruch genommen wird und in dem gleichzeitig dazu so wenig Forschung stattfindet wie in der alternativen Medizin. Es gibt ja nach wie vor überhaupt keine öffentliche Förderung für die Erforschung. Dabei ist Forschung und mehr Wissen auf dem Gebiet sehr wichtig.
Vom aktuellen Stand der Forschung betrachtet: Kann Zucker denn nun heilen, wenn man ihn auf die richtige Art verschreibt?
Aber ja, die Art, wie der Arzt mit dem Patienten spricht und wie viel Zeit ihm dafür bleibt, hat einen Einfluss. Ich zucke aber immer ein bisschen, wenn es um Heilen oder Heilsversprechen geht. Bei chronischen Erkrankungen geht es häufig um Linderung. Da reden wir ja meistens über eine Verringerung der Beschwerden oder darüber, dass die Beschwerden nicht so schnell fortschreiten.
Wenn dem Arzt eine derart wichtige Rolle zukommt, wie Sie sagen: Ist das nicht die Forderung nach der Rückkehr der Götter in Weiß?
Sie sind ja, Gott sei Dank, jetzt nicht mehr die Götter. Die Menschen glauben nicht mehr an den weißen Kittel allein, sondern schauen auf die Fähigkeiten, die der Arzt erworben hat. Und so ist der Arzt für den Patienten nicht mehr unfehlbar, sondern er ist ein Fachmann, der im besten Fall auch ein Fachmann in der Arzt-Patienten-Interaktion ist.
Sind die Patienten denn heute mündiger als noch vor fünfzig Jahren?
Auf jeden Fall. Ich denke, das hat viel mit der Entwicklung insgesamt zu tun. Patienten sind viel kritischer, viel aufgeklärter, auch weil durch das Internet sehr viele Informationen zugänglich sind. Und viele Patienten wollen ja die Entscheidung gemeinsam mit dem Arzt treffen und nicht dass der Arzt für sie entscheidet.
Wären nicht die aufgeklärteren Menschen die, die bei der Schulmedizin bleiben?
Man weiß, dass die Patienten, die alternative Medizin wählen, besser gebildet sind als der Durchschnitt. Eine höhere Rate an Abiturienten im Vergleich zur Normalbevölkerung nutzt Homöopathie.
Wer lässt sich denn homöopathisch behandeln?
Es sind vorwiegend chronisch Kranke, die nahezu alle schulmedizinisch vorbehandelt sind. Mehr Frauen als Männer. Die Patienten sind etwas jünger als der durchschnittliche Patient beim Allgemeinmediziner. Die häufigsten Erkrankungen, die beim Homöopathen behandelt werden, sind bei den Frauen chronische Kopfschmerzen, bei den Männern Heuschnupfen, bei Kindern Neurodermitis.
Was bekommen die Menschen beim Homöopathen, was sie beim Allgemeinmediziner nicht kriegen?
Auf jeden Fall Zeit. Das ist denke ich ein wesentlicher Faktor. Ein homöopathisches Erstgespräch dauert in der Regel eine bis eineinhalb Stunden. Dann ist ein weiteres Merkmal, dass der Arzt ihnen zuhört und sie aussprechen lässt. In einer allgemeinmedizinischen Praxis ist dazu nicht die Zeit. Viele Allgemeinmediziner hätten gern mehr Zeit mit ihren Patienten, aber das Gesundheitssystem honoriert ihnen das nicht. Da muss sich grundlegend etwas in unserem System ändern. Zeit ist wichtig, um einen Patienten vollständig über seine Krankheit aufzuklären, und es gibt auch Forschung, die zeigt, dass der Behandlungsverlauf besser ist, wenn Patienten mehr von ihrem Arzt erfahren haben.
Wo ist denn die Grenze der Homöopathie?
Besonders schlimm ist, wenn unseriöse Heilsversprechen gemacht werden. Das gilt nicht nur für die Homöopathie. Das gilt für die alternative Medizin insgesamt. Wenn ein Patient eine schwerwiegende unheilbare Erkrankung hat, zum Beispiel Krebs, und der Arzt macht Heilsversprechungen, dann ist das eindeutig unseriös.
■ Die Autorin, 29, schmeißt lieber Antibiotika ein, glaubt aber an die Kraft des Placebo-Effekts