RALPH BOLLMANNMACHT : Subversion und Subvention
Die Verantwortlichen der Loveparade haben sich über Vorschriften hinweggesetzt. Aber liegt darin das Problem? Ein Bekenntnis
Daran, was vielleicht passieren könnte, haben wir damals nicht gedacht. Wir haben uns die Genehmigung vom Ordnungsamt abgeholt, wir haben eine Ortsbegehung mit dem Hausmeister gemacht. Es ging darum, die Straße vor der Schule zu sperren, es ging um den Bestuhlungsplan für die Aula und um mögliche Fluchtwege. Natürlich waren wir froh, wenn die Beamten das eine oder andere Auge zudrückten. Vermutlich hätten unsere Schulfeste sonst gar nicht stattfinden können.
Meine ferne Vergangenheit in der Schülermitverantwortung kam mir wieder in den Sinn, als ich diese Woche die ratlosen Gesichter nordrhein-westfälischer Bürgermeister, Eventveranstalter und Polizeipräsidenten sah. Seit dem vergangenen Wochenende wissen sie alle ganz genau, über welche Sicherheitsvorschriften sich der jeweils andere grob fahrlässig hinweggesetzt hat. Auch die meisten Journalisten sind sich jetzt zu hundert Prozent sicher, dass das Unglück absehbar war. Obwohl selbst die meisten Kollegen mit Ortskenntnis die Idee, in Duisburg eine Loveparade zu veranstalten, vorher noch recht reizvoll fanden.
Es stimmt wohl: In Duisburg waren alle Beteiligten mit der Großveranstaltung überfordert. Sie alle hatten wenig Erfahrung, sie haben sich über ein paar Regeln zu viel hinweggesetzt, sie waren es aus unterschiedlichen Gründen gewohnt, immer ein wenig höher zu stapeln, als es bei genauer Betrachtung vielleicht den Tatsachen entsprach. Was in unserer Gesellschaft, nebenbei bemerkt, nicht unbedingt als Erfolgshindernis gilt.
Absurd ist allerdings die Vorstellung, die strikte Einhaltung aller Vorschriften sei möglich oder gar üblich. Das gilt fürs Leben insgesamt, es gilt erst recht für öffentliche Veranstaltungen. Dazu ist der moderne Rechtsstaat mit seinen teils widersprüchlichen Regeln zu komplex. Dazu ist auch die Bedenkenträgerei zu etabliert als probates Mittel, sich aus der Verantwortung davonzustehlen. Klar, dass der Amtschef auf Risiken hinweist. Das ist seine Aufgabe. Er will am Ende nicht schuld sein. Die Frage ist nur: Was fängt ein Entscheidungsträger damit an?
Der anfängliche Charme der Loveparade, die als politische Demonstration angemeldet war, speiste sich nicht zuletzt aus der Freude an diesem Austricksen von Behörden. Schließlich hatten auch die Menschenmassen, die sich am 9. November 1989 an der Berliner Mauer versammelten, zuvor nicht um eine Sondernutzungserlaubnis für das Bauwerk nachgesucht. Ein wenig subversiv kamen wir uns auch mit unseren Schulfesten vor. Wir begriffen den kreativen Umgang mit dem Regelwerk als Akt zivilen Ungehorsams, freuten uns über die heimliche Komplizenschaft verschmitzter schwäbischer Beamter.
Ein Glück, dass dabei nie etwas passierte.
■ Der Autor leitet das Parlamentsbüro der taz Foto: Archiv