: Ehrliche Wahlplakate
Die Parteien haben die ganze Stadt mit Werbepostern zugepflastert. Die meisten sind inhaltsleer. Die taz zeigt die Plakate, die sich Politiker nicht zu drucken trauen
Das Wahlplakat ist der Trinkspruch der Politik. Es drängelt sich ungehobelt ins Bild. Es grölt. Es kennt keine Zweifel, nur Überzeugungen. Es posaunt Banales so knackig in die Welt, dass es noch der letzte Stammtisch versteht. Keiner kann es übersehen, sosehr er sich auch anstrengt. Die Gesichter auf Wahlplakaten sehen aus, als habe der Betrachter zehn Bier intus. Weichgezeichnet bis zum Gehtnichtmehr strahlen sie aus jeder Pore vor Kompetenz – Mitesser oder Muttermale, Warzen oder Falten gibt es nicht in der Plakatwelt. Mit der Wahrheit verhält es sich ähnlich.
Sie scheut das Wahlplakat wie der Nichtwähler die Partei. Was jetzt an Laternenmasten hängt, hat sich meist schon erledigt, wenn die künftigen Partner über ein Bündnis verhandeln. Und falls sich doch eine Forderung in den Koalitionsvertrag rettet: Die Wahrheit stirbt spätestens in der Haushaltsdebatte. Aber noch ist Werben angesagt, noch ist der 17. September weit: Wie in den ersten Wochen einer frischen Liebe lügen die Parteien ihre Auserwählten hemmungslos an. Pappe ist geduldig. Aber sobald sie das Jawort der BürgerInnen haben, ist Schluss.
Nur leider spielen die WählerInnen nicht mit. Längst haben sie die angekleisterte Verhohnepipelung durchschaut. In den nächsten Tagen wird deshalb die Bürgerguerilla tätig werden. Sie wird Schnurrbärte in Grinsegrimassen malen, papierne Slogans abreißen oder mit einem herzhaften „Stimmt gar nicht!“ ergänzen. Manche äußern so ihr Desinteresse an Politik, viele aber den Frust darüber, wie ihnen Politik verkauft wird.
Sie wissen: Interessanter als das Plakat ist das Nicht-Plakat, das Programm hinter dem Programm, die Aussage, die sich die Parteien nicht zu drucken trauen. Aber warum nicht das schamhaft Verborgene in Wahlplakate packen? Wenn man sie als politische Trinksprüche versteht, liegt eine Alltagserfahrung nahe: Volltrunkene lallen irgendwann die Wahrheit.
Für die auf dieser Seite gedruckten Entwürfe gilt im Übrigen das Gleiche wie für ihre Vorbilder. Sie argumentieren so schlicht, dass sie wütend machen. Sie sind so zugespitzt, dass man ihnen keinen Glauben schenken kann. Und beweisen dadurch einmal mehr: Ehrliche Wahlplakate sind eine Unmöglichkeit. TAZ