PETER UNFRIED über CHARTS : Das letzte große Ding
Kalifornisches Tagebuch (II): Was hat den Hybrid auf kalifornische Straßen gebracht – doch nicht etwa Vernunft?
Santa Cruz, Calif. Irgendwann haben wir beim Autofahren angefangen, Hybrids zu zählen. Statt „roter Autos“ oder was man mit den Kindern so zählt. Vermutlich, nachdem Al Gore uns im Abspann seines Klimawandel-Films „An Inconvenient Truth“ aufgefordert hatte, einen Hybrid zu kaufen (falls wir uns das leisten können sollten). Wenn man anfängt, darauf zu achten, merkt man, wie viele Hybrids mittlerweile in Kalifornien rumfahren, speziell in einer Stadt wie Santa Cruz, wo die meisten Leute zwangsläufig Geld haben, ansonsten würden sie hier nicht leben. Dauernd schreit es von hinten „Prius“ oder „Hybrid“!
Ein Hybrid ist ein Auto, das neben einem Benzinmotor noch einen Elektromotor hat, der es bei niederem Tempo antreibt, sodass der Ausstoß von Kohlendioxid sowie der Verbrauch fossiler Energie verringert wird. Das rettet zwar den Planeten nicht – auch ein Hybrid braucht leider noch absurd viel Benzin. Doch für US-Verhältnisse sind sieben Liter auf 100 Kilometer ganz schön wenig. Was hat den Hybrid auf die Straßen gebracht? Doch wohl nicht etwa Vernunft? Dazu vier Anmerkungen.
1. Die japanischen Autofirmen Toyota und Honda wollen das Ding WIRKLICH verkaufen. Wem das selbstverständlich erscheint, sollte wissen, dass Autofirmen ihre ansatzweise ökologisch Sinn machenden Entwicklungen normalerweise verstecken. Traurigstes Beispiel in Deutschland: Der Drei-Liter-Audi. In den US-Kinos läuft gerade „Who killed the Electric Car?“. Neben Gores Film ist das ein weiterer öko- und gesellschaftspolitischer Dokumentarfilm, der die (relativen) Massen erreicht. Regisseur Chris Paine geht der Frage nach, warum und wie das u. a. von General Motors entwickelte Elektro-Auto 2000 auf die Straßen kam und dann ruckzuck wieder vom Markt verschwand. Seine unüberraschende These: Autokonzerne, Benzinkonzerne sowie ihnen zu Diensten stehende Politiker sorgten dafür. General Motors dagegen sagt (na?): Der Markt wollte das Auto nicht. Wer die absurden (Anti-)Werbespots für das EV1 benannte Auto gesehen hat, bekommt den Eindruck, dass GM nicht sehr daran gelegen war, dass jemand das Auto kauft.
2. Der klare Hybrid-Marktführer, der neue Toyota Prius, sieht nicht mehr wie ein Opa-Auto aus, sondern genügt auch konventionellen Autoemotionsbedürfnissen jenseits aller ökologischen und gesellschaftlichen Vernunft – womöglich gar denen von autotestenden Zeit-Redakteuren.
3. Die Gallone Benzin (3,8 Liter) kostet jetzt in Kalifornien um die 3,30 Dollar. Das ist 70 Cent mehr als letzten Sommer. Nur in Hawaii ist es teurer.
In den Zeitungen häufen sich Horrorstorys über das Schicksal gebeutelter Pendler, die ihrem Pick-up oder SUV kaum noch die täglichen 100 Liter zuführen können, die er für die Fahrt zum Arbeitsplatz und zurück verbraucht. Jedenfalls stellen nun auch Kalifornier fest, dass Benzin nicht nur schädlich und endlich ist, sondern auch ein Kostenfaktor. Das wirkt. Ein gewisser Dale Roach, berichtete die Los Angeles Times, schaffte doch tatsächlich seinen Pick-up ab und fährt jetzt einen Kleinwagen. Das ist hart, er kriege „keinen Respekt mehr auf dem Freeway“, sagte er. Von der Einschränkung der ihm zustehenden Freiheit als Amerikaner mal ganz abgesehen. Dafür braucht er nur noch die Hälfte an Sprit. Manche schalten inzwischen sogar schon den Motor aus, wenn sie kaum zehn Minuten irgendwo rumstehen. Dass der republikanische Gouverneur Schwarzenegger einen seiner vielen Hummer auf Hybrid hat umrüsten lassen, muss man dagegen als Zynismus verstehen.
4. Ökologie ist nicht (nur) das neue große Ding oder die Sau, die halt in diesem Sommer von Medien schick gemacht, aufs Cover gehoben und durchs Dorf getrieben wird. Es gibt zumindest an den Küsten ein Bewusstsein, dass der Klimawandel das letzte große Ding sein könnte. Hoffe ich jedenfalls. Dieses Bewusstsein ist zwar längst nicht so Mainstream wie die Anti-Bush-Stimmung, aber es ist da. Dass der neue Klimakämpfer Gore der Liebling des Rolling-Stone-Herausgebers Jann Wenner ist, tut beiden gut. Gore, weil er ein Mainstreamforum hat, und dem RS, weil es die Repolitisierung des Magazins über das Gegen-Bush-Sein hinaushebt.
In unserem Hybrid-Zähl-Wettbewerb lag die Laurel Street in West-Santa-Cruz lange vorn. Doch am Ende stellte die Walnut Avenue eine neue Bestleistung auf: Sieben Hybrids fuhren oder standen da auf einer Strecke von kaum einer halben Meile. Ganz schön viel. Mein Sohn sagte: „Schade, dass wir keinen haben. Dann wären es acht.“
Fragen zum Benzinpreis? kolumne@taz.de MORGEN: Adrienne Woltersdorf OVERSEAS