piwik no script img

Archiv-Artikel

Schwankende Leinwand

Das Cinepolis-Filmfestival begleitet den diesjährigen Hamburger Architektursommer. Die Festival-Organisatoren über den Mythos Hafencity, die Gratwanderung zwischen Vision und Realität und den Umgang mit historischer Bausubstanz

Interview: Petra Schellen

taz: Welches ist das Konzept des diesjährigen Cinepolis-Festivals? Ist es als kritischer Beitrag zur Architekturdiskussion im Allgemeinen und zu der Hamburgs im Besonderen gedacht?

Mehmet Alatur: Nicht in erster Linie. Unser Anliegen ist eher, verschiedene Zugänge und Perspektiven zu zeigen. Natürlich haben wir auch kritische Beiträge ausgewählt, aber diese Kritik richtet sich nicht explizit gegen bestimmte Architekten.

Mathias Güntner: Es war immer unser Ziel, unterschiedliche Fragestellungen aufzuwerfen. Außerdem interessiert uns zunehmend die Verbindung zur bildenden Kunst. Zur Eröffnung unseres Festivals am Samstag haben wir zum Beispiel Filme des Belgiers Delmotte gezeigt, und zwar in einer Galerie, in der zugleich ein Ausstellung Thorsten Brinkmanns eröffnet wurde.

Olaf Bartels: Delmotte hat sich intensiv mit öffentlichen Räumen auseinander gesetzt und führt einige spektakuläre Interventionen im öffentlichen Raum vor. Dieser Interventionismus ist uns seit langem sehr wichtig: Wir wollen unsere Filme nicht nur im Kino zu zeigen, sondern auch an verschiedenen Orten der Stadt – bei vorigen Festivals auf dem Fernsehturm, auf einer Rollschuhbahn oder in der U-Bahn, jetzt in einer Galerie und auf Barkassen, auf die wir noch zu sprechen kommen werden. Wir widmen uns bewusst städtischen Orten und zeigen ein Programm, das sich mit der Problematik dieser Orte befasst. Außerdem wollen wir Hintergründe liefern. Über die Architekten Herzog & de Meuron, die die Hamburger Elbphilharmonie entwarfen, weiß der Durchschnittshamburger vermutlich nicht so viel. Dem wollen wir abhelfen.

Werden Sie sich dem – sowohl aus Kosten als auch aus Auslastungsgründen umstrittenen – Projekt „Elbphilharmonie“ kritisch widmen?

Alatur: Wir sind nicht grundsätzlich gegen den Bau der Elbphilharmonie. Aber unsere Filme sind natürlich keine Propaganda für die Architekten. Es sind einfühlsame Arbeiten, die die Persönlichkeit der Architekten ausleuchten und nicht versuchen, Helden aus ihnen zu machen. Wir zeigen zwei Filme, die im Abstand von zehn Jahren entstanden. Der erste widmet sich der Bauphilosophie von Herzog und de Meuron, während der zweite – kürzlich erst vom Schweizer Regisseur Beat Kuert fertig gestellt – von Herzog und de Meuron nicht unbedingt unterstützt wurde, weil der deren PR-Maschinerie nicht entspricht. Denn Kuert zeigt die Architekten als Personen, aber nicht als geniale Entwerfer. Und dem in etlichen PR-Produktionen zelebrierten Heldenmythos huldigen wir hier mit Sicherheit nicht.

Bartels: Aber wir verstehen uns auch nicht als Instanz, die den kritischen Background für die Hafencity liefert. Wir wollen einfach eine Diskussion und Reflexion über Architektur und Stadt anregen.

Mathias Güntner: Wobei klar ist, dass mit dem Abriss der alten Bausubstanz und dem Aufbau der Hafencity der Mythos der Old Sailors‘ Town sterben wird. Wenn man jetzt also – wie wir es tun – historische Filme zeigt, die Hamburg als Hafenstadt präsentieren, kann das durchaus ein kritischer Standpunkt sein. Aber wir fühlen uns nicht verpflichtet, das Verschwinden der alten Strukturen zu bedauern.

Bartels: Nein. Wir wollen die Auseinandersetzung mit diesen Themen fördern und nicht in erster Linie werten.

Sprechen wir über das Barkassen-Filmprogramm. Wie ist das gedacht?

Thomas Tode: Die hier ausgewählten Filme widmen sich dem „Mythos Hafencity“ – etwa in Hamburg und Newcastle. Uns ist schon länger aufgefallen, dass der Hafen zunehmend künstlich animiert wird durch Queen Mary-Massenveranstaltungen und Ähnliches. Denn dass heute immer weniger Leute im Hafen arbeiten, wissen wir alle, und seit es die Container-Terminals gibt, ist die Arbeit auch visuell viel weniger attraktiv. Diese Verluste – auch die der Arbeitermassen – versucht man durch die Installation von Touristenmassen zu kompensieren. Für unsere Barkassenfahrt haben wir ein Filmprogramm zum Thema Hafen zusammengestellt, das man natürlich auch in einem herkömmlichen Kino zeigen könnte. Aber wir wollten sie in einem fahrenden Kino zeigen. Wichtig war uns auch, einen Ort zu wählen, der sich bewegt. Eine Leinwand zu haben, die sich bewegt.

... was eine leichte Beunruhigung erzeugt...

Tode: ... und eine andere Wahrnehmung. Es mischen sich zum Beispiel der Ton des Films und Geräusche der Umgebung – der Barkassenmotor etwa oder die Schreie der Möwen.Man kann manchmal gar nicht unterscheiden, woher die Töne kommen – eine Wanderung zwischen den verschiedenen Wahrnehmungsebenen sozusagen. Und dadurch, dass Vergangenes – teils sind die Filme schwarzweiß – und Gegenwärtiges gleichzeitig zu sehen sind, verändern wir den Blickwinkel auf das eigentlich Bekannte. Und genau diese kleine Verschiebung ist es, die uns interessiert. Man kann die ganze Zeit Film und Realität vergleichen. Wir wollen auf diese Weise eine Art fahrenden Raum schaffen.

A propos „Mythos Hafencity“: Ist die massive PR, die für diesen neuen Stadtteil gemacht wird, nicht auch eine Hilflosigkeit angesichts dessen, was verloren geht? Redet man sich einen Verlust schön?

Bartels: Das Hilflose daran ist eher der Versuch, ein Image für die Hafencity zu erschaffen. Man möchte dieses Konstrukt mit Begriffen wie „maritimes Flair“ und „Wohnen am Wasser“ animieren und versucht dabei, sich die Historie zunutze zu machen. Dafür nutzt man den Besuch der Queen Mary 2 und bringt sogar Kunst dorthin, um den dortigen öffentlichen Raum zu beleben.

Präsentiert das diesjährige Cinepolis-Festival eigentlich auch Visionen bezüglich der Gestaltung städtischen, öffentlichen Raums?

Alatur: Der britische Regisseur Patrick Keiller, der im September bei uns zu Gast sein wird, entwirft mit „City for the Future“ eine solche Vision. Sein Thema ist die Zukunftsstadt der Vergangenheit – die gegenwärtige also. Er konstatiert, dass wir jetzt noch in den Städten des 19. Jahrhunderts leben. In Deutschland natürlich nicht, aber in England, wo er herkommt. Für das Projekt „The City of the Future“ hat er aus Archivfilmmaterial des 19. Jahrhunderts und Textdokumenten eine virtuelle Stadt gebaut – einen Mix aus Geplanten und heute Vorzufindendem. Eine Montage, die man durchaus als subtile Kritik an aktueller Stadtplanung verstehen kann.

Weitere filmische Visionen?

Tode: Interessant ist auch die Computeranimation „Unbuilt Monuments“ von Takehiko Nagakura. Er hat Gebäude, die nie gebaut wurden, in reale Stadtpanoramen montiert. Tatlins berühmten Turm zum Beispiel. Der Regisseur setzt ihn einfach ins Hamburger Panorama, wo es ein bisschen wie ein Monster vom anderen Stern herumsteht.

Heißt das, Sie alle – und einige der von Ihnen präsentierten Filme – trauern ein bisschen um das nie Verwirklichte?

Güntner: Nein. Sentimentalität ist nicht unser Thema. Wir wollen lediglich Möglichkeiten zeigen. Und warum nicht mal ein bisschen spielen. Filme eignen sich doch gut dafür.

noch bis 26.9. www.cinepolis.de