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Archiv-Artikel

Ausgebeutete Topografie

PARALLELWELT Die Fotografin Nathalie Grenzhaeuser arbeitet an schwer zugänglichen Orten. Ihre Fotos von Uranlagerstätten und unterirdischen Pflanzenspeichern sind im Kunstverein Langenhagen zu sehen

Eigentlich wäre sie von der Inselgruppe Spitzbergen gerne zu einer Nordpol-Expedition aufgebrochen, gesteht Nathalie Grenzhaeuser. Aber der tragische Ausgang vieler historischer Expeditionen hat sie davon abgehalten. So war die 1969 in Stuttgart geborene Fotografin lediglich auf zwei künstlerischen Forschungsreisen auf der norwegischen Inselgruppe in der Polarregion – dazwischen lag eine ans andere Ende der Welt, in das australische Outback. Die Fotos sind derzeit im Kunstverein Langenhagen bei Hannover zu sehen.

Nach einem Studium der interdisziplinären Kunst bei Mysterienspezialist Hermann Nitsch in Frankfurt ist Grenzhaeuser als Fotografin Autodidaktin. Ihr fotografisches Interesse gilt der Landschaft, aber nicht der idyllisch-arkadischen. Ihre Fotos zeigen die industriell überformte, vom Bergbau ausgebeutete und transformierte Topografie.

Grenzhaeuser überarbeitet ihre analog erstellten Fotos digital, verdichtet sie, indem sie mehreren Perspektiven oder unterschiedliche Aufnahmezeitpunkte einbezieht oder die Fotos um fremde Elemente erweitert. Sie sind somit keine Dokumente verbürgter Authentizität, wie man sie, ohne über die Techniken des Mediums weiter nachzudenken, von der Fotografie noch immer erhofft. Das Bild ist das Bild, wie sie sagt – eine parallele Wirklichkeit der Wirklichkeit als Idealkonstrukt und nicht als deren Wiedergabe.

Ihr Bildmaterial sammelt Grenzhaeuser unter schwierigen Bedingungen. Viele der aufgesuchten Orte sind Sicherheitszonen und oft ausschließlich illegal zu betreten. In Australien konnte sie die größte bekannte Uranlagerstätte, Olympic Dam, nur während einer Busfahrt in Augenschein nehmen. In dem ausgearbeiteten Bild schimmern die Treppen und Geländer des Förderturms jetzt fast golden, eine zweite Lichtquelle erhellt technische Anlagen im Hintergrund.

Spitzbergen wiederum ist seit 1920 demilitarisierte Zone und wegen der auch für die nächsten Jahrhunderte prognostizierten Permafrostböden idealer Lagerort für die globale Saatgutbank unter norwegischer Regie, einer Arche Noah der Neuzeit. Unter Einbeziehung eines aufgelassenen Kohlenbergwerks werden seit 2008 ultimative „Sicherheitskopien“ aller für Landwirtschaft und Welternährung wichtigen Pflanzen eingefroren und in unterirdischen Katakomben und Kammern inventarisiert –in dem Glauben, so die vegetabilischen Geschöpfe der Erde nach Natur- oder Terrorkatastrophen neu erschaffen zu können.

Nathalie Grenzhaeuser schlich sich zu diesem, natürlich streng bewachten, Ort. Eine Himmelsaura umgibt nun in ihrem Bild den oberirdischen Kopfbau der Anlage, ein Schlauch entwässert wie eine umgekehrte Nabelschnur das Innenleben in von ihr etwas nachverdichtetes Ruderalgrün – eine leise Ironie vielleicht, angesichts dieses demiurgischen Menschheitstraums in Zeiten weltweiter Klimaverschiebungen.

BETTINA MARIA BROSOWSKY

„Trespassing“, bis 10. Oktober, Kunstverein Langenhagen