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Archiv-Artikel

Was wir bislang über die Kofferbomber wissen – und was nicht Viele Urteile, wenig Fakten

Seit den versuchten Zug-Attentaten ist Deutschland endgültig ins Fadenkreuz des internationalen islamistischen Terrorismus geraten. Wir können uns nicht mehr wegducken. Diese Botschaften werden derzeit, meist von selbst ernannten Terrorexperten und kulturkämpferisch gestimmten Kommentatoren, mit Hochdruck unter das Volk gebracht. Zu den bekannten Fakten aber passt diese dramatisierende Rhetorik nicht recht.

Was wissen wir bislang? Es gibt zwei Hauptverdächtige, die zwei Bomben in Zügen deponiert haben. Wie gefährlich die Bomben waren, ist unklar. Waren sie handwerklich fehlerhaft – oder waren sie so dilettantisch gebaut, dass sie kaum funktionsfähig waren? Hat also nur ein glücklicher Zufall eine Katastrophe verhindert – oder konnten die Bomben eigentlich gar nicht explodieren? In beiden Fällen war Massenmord die monströse Absicht der Täter. Aber das Bedrohungsszenario sieht im letzteren Fall weniger spektakulär aus.

Ebenso unklar ist, ob die beiden Einzeltäter sind. Die Mutmaßungen von Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft lassen, auch nach der Verhaftung in Konstanz, viel offen. Es macht aber einen Unterschied, ob wir es mit organisiertem internationalem Terror zu tun haben – oder ob zwei durch radikale islamistische Ideologen fanatisierte Einzeltäter unbrauchbare Bomben in Züge gelegt haben. Wie professionelle Terroristen haben sich Dschihad H. und Youssef Mohamad E. H. jedenfalls nicht verhalten. Die Flucht in den Nahen Osten und die Rückkehr nach Deutschland, das Telefonat mit der Familie nach der Veröffentlichung des Bahnhofs-Videos, all das wirkt eher konfus. Auch dass sich Dschihad H. im Libanon offenbar selbst den Behörden gestellt hat, passt nicht in das Bild des zu allem entschlossenen Al-Quaida-Terroristen.

Kein Missverständnis: Es geht nicht um Verharmlosung. Auch wenn wir es mit ideologisierten Einzeltätern zu tun haben, ist das schlimm genug. Aber es ist etwas anderes als ein Angriff des internationalen Terrorismus auf Deutschland. Es geht um Genauigkeit. STEFAN REINECKE