hauptbahnhof : Eine erstaunliche Bilanz
Wäre Berlin eine unbedeutende Kleinstadt in der Mark Brandenburg, alle würden vom Bilbao-Effekt reden. Mit dem Neubau des Guggenheim-Museums durch den Architekten Frank O. Gehry hat es die baskische Industriestadt zum Tourismusmagneten geschafft. Architektur, weiß man seitdem, ist nicht nur Sache der Feuilletons, sondern auch ein Standortfaktor.
KOMMENTAR VON UWE RADA
Nun ist Berlin nicht Bilbao, schließlich kamen die Touristen schon vor der Fertigstellung des Hauptbahnhofs an die Spree. Doch die Besucherzahlen, die die Bahn AG gestern vorgelegt hat, zeigen: Berlin hat eine neue Sehenswürdigkeit.
Natürlich, die 100-Tage-Bilanz gibt noch keine Auskunft darüber, ob auch in ein oder zwei Jahren jeder dritte Besucher des Hauptbahnhofs ein Schaulustiger sein wird. Tatsache ist allerdings, dass Berliner wie auch Berlinbesucher endlich jenes Bauwerk haben, das sie ohne große Nörgelei als das ihre akzeptieren. Woran der Potsdamer Platz oder die Friedrichstraße gescheitert sind, der Hauptbahnhof hat es auf Anhieb geschafft.
Das ist erstaunlich. Immerhin hat die Bahn alles getan, die Eröffnungsbilanz des gläsernen Riesen zu trüben. Die Architektur von Meinhard von Gerkan wurde gestutzt und verbilligt, wo es nur ging, und auch die Diskussion um die Degradierung des Bahnhofs Zoos war nicht gerade gute Imagearbeit. Doch der Hauptbahnhof ist aus alldem unbeschadet hervorgegangen. Mehr noch: Er hat sich als Produkt von Architekt und Bauherr gelöst und steht nun da als Kunstwerk, das jedem gehört.
Zur Einzigartigkeit des Solitärs gehört bislang aber seine Umgebungslosigkeit. Ist die Wüste um den Hauptbahnhof erst urbanisiert, wird die Bilanz vielleicht anders ausfallen. Bis dahin aber dürften noch ein paar Jahre vergehen. Die Berliner und die Berlinwerber können sich freuen.