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Archiv-Artikel

Aufstand in der Besatzungszone

Weil die Energiekosten erneut kräftig anziehen sollen, wollen jetzt mehrere Bundesländer weiter Strompreise regulieren dürfen. Selbst FDP-Minister Sander aus Niedersachsen stemmt sich gegen die Mondpreise

Von KAI SCHÖNEBERG

Experten nennen die Regionen, die die Energie-Multis unter sich aufgeteilt haben, die „vier neuen Besatzungszonen“. Im Norden diktiert vor allem E.on die Strom- und Gaspreise – auch für viele regionale Energieversorger. In Hamburg der schwedische Konzern Vattenfall. Wettbewerb wie auf dem Telefonmarkt ist im Energiesektor so gut wie nicht vorhanden: Neben den Kraftwerken sind hier auch die meisten Strom- und Gasnetze im Besitz der großen Vier. Das ist so, als wenn VW auch noch im Besitz von mautpflichtigen Autobahnen wäre. Fazit: König Kunde ächzt unter saftigen Preiserhöhungen, Jahr für Jahr.

„Es mag Sie verwundern“, sagte gestern Hans-Heinrich Sander vor Journalisten, „das von einem Liberalen zu hören“. Aber auch der FDP-Umweltminister aus Niedersachsen will dem Markt keinen freien Lauf lassen: „Das können wir nicht verantworten“, sagt Sander.

Er will, wie mittlerweile zwölf andere Bundesländer, darauf drängen, dass die Strompreisaufsicht der Länder nicht bereits im kommenden Jahr endet. So will es bislang eine Klausel im Energiewirtschaftsgesetz aus dem vergangenen Jahr. Nun ja, am 10. September sind Kommunalwahlen im Land. Da gibt auch ein FDP-Minister gerne mal liberale Grundsätze auf. Sander überlegt sogar, ob das Land im Bundesrat eine Initiative einbringt, die Stromaufsicht bis etwa zum Jahr 2010 zu verlängern. Bis dahin soll der Wettbewerb den Mondpreisen ein Ende bereiten.

Initiative hin oder her: Der Verbraucher braucht sich vorerst nicht auf abnehmende Energiepreise einzustellen. Zwar hatte die Bundesnetzagentur am Mittwoch die Netzentgelte von E.on um 16 Prozent gesenkt – und damit die Preise, die die regionalen Versorger an die Großen zahlen müssen, wenn sie Strom durch deren Hochspannungsleitungen jagen.

Aber: Von dem Abschlag wird wenig im Portemonnaie zu spüren sein. Fast in ganz Deutschland haben die Versorger im Gegenzug längst herbe Aufschläge angekündigt. Und damit die Landes-Regulierer alarmiert: Der Kieler Wirtschaftsminister Dietrich Austermann (CDU) will bis zum kommenden Jahr keine höheren Strompreise genehmigen. E.on wollte in Schleswig-Holstein sechs Prozent aufschlagen, angeblich wegen gestiegener Beschaffungskosten.

In Niedersachsen haben bislang 31 der 68 regionalen Energieversorger Preisaufschläge beantragt – die Stadtwerke in Uelzen wollen sogar im kommenden Jahr satte 22 Prozent mehr Geld pro Kilowattstunde verlangen. Weitere Wünsche nach einem tiefen Schluck aus der Pulle dürften folgen. Er wolle die Anträge „sehr streng“ prüfen, sagte Sander gestern. Und: Es gebe gute Argumente, „warum wir eine Preiserhöhung nur sehr schwer nachvollziehen können“. Es dürfte den Erzeugern nämlich „schwer fallen nachzuweisen, dass die Stromerzeugungskosten derart gestiegen sind“.

Bereits im vergangenen Jahr hatten die Stromregulierer in seinem Ministerium 35 Preisanträge vermindert, betonte Sander. Dennoch wäre es bereits „ein großer Erfolg“, wenn die Nettopreise im kommenden Jahr stabil blieben. Gegen die Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar kann auch ein regulierungswütiger Minister nichts ausrichten.

Eine Lösung für den Kunden: Preise vergleichen und den Anbieter wechseln. Das geht häufig schon mit einem Brief. Auch Sander plädierte gestern dafür, ausländischen Anbietern den Markt zu öffnen. Dafür müsste ihnen die Möglichkeit gegeben werden, neue Kraftwerke zu bauen. In Wilhelmshaven und auf dem Gelände des ehemaligen AKW in Stade gibt es dafür bereits Planungen.

Die Verbraucher könnte das freuen: Laut Bund der Energieverbraucher kostet eine Kilowattstunde in Deutschland im Schnitt 18,3 Cent. Das europäische Mittel liegt bei 13,0 Cent.