: Geliebte Gegenständlichkeit
„Almanach“: Rosa Loys Bilderwelten füllen den Oldenburger Kunstverein mit Frauen, Farbe und Rätseln. Warum, zum Beispiel, ist die „Neue Leipziger Schule“ so erfolgreich?
Von Henning Bleyl
Wer‘s abstrakt mag, muss in Oldenburg derzeit verzweifeln: Die Bilder von Rosa Loy, die der Kunstverein ab Sonntag zeigt, strotzen vor Figürlichkeit. Schließlich gilt die Leipzigerin als Vertreterin der dortigen „Neuen Schule“, womit bereits die dritte Malgeneration gemeint ist, die sich der Gegenständlichkeit verschrieben hat. Schon ohne das „Neu“ stand „Leipziger Schule“ für Künstler wie Heisig, Mattheuer und Tübke, die mit Parabeln und Historienbildern einer anderswo längst abgetanen Kunst frönten.
Deren „Enkel“ sind jetzt ganz oben. Nachdem sich die Leipziger Kunsthochschule erfolgreich gegen die Übernahme durch westliche Video- und Installationskonzeptionisten gewehrt hat, erfuhr der dortige handwerkliche Stil eine entscheidende Umwertung: von der Retro- zur Avantgarde. Mit dem schönen Nebeneffekt, dass die früheren DDR-Deutschen (zusammen mit neugierig zugezogenen Westlern) auf dem kapitalistischen Kunstmarkt außerordentlich erfolgreich sind. Rosa Loy ist mittendrin. Seit 1993 hat sie ihr Atelier in der „Alten Spinnerei“, genauso wie Neo Rauch und Tilo Baumgärtel, mit denen sie unter anderem in wechselseitigem Kochdienst verbunden ist.
In ihrer Kunst spielen Männer dagegen keine Rolle. Tauchen sie auf, wie auf dem in Oldenburg gezeigten „Wagnis“, verweist sie Loy in die Statisterie. Viel wichtiger ist ihr die mit eisernen Dornen bewehrte Frau im Vordergrund, die sich an einem technoid anmutenden Pflanzenlabyrinth zu schaffen macht. Auch der mittlerweile denkmalgeschützte Leipziger „Agrar-Flughafen“ spielt eine Rolle, Loy kennt ihn aus ihrer Zeit als Gartenbau-Ingenieurin. Als solche war sie unter anderem in der Gurkenproduktion der DDR tätig.
Unzweifelhaft steckt in Loys Arbeiten etwas Märchenhaftes, Fabulöses was der Ausstellungstitel „Almanach“ gut aufnimmt. Das hat zum einen mit einer anderen von Loys Ausbildungen zu tun, der zur diplomierten Buchgestalterin. Aber mehr noch mit der immensen allegorischen Aufladung der Bilder. Ein kopulierendes Rattenpärchen etwa verweist auf ungebremste Ausbreitung des Bösen, rote Schläuche haben etwas nabelschnuriges, das auch als Fessel funktioniert. Schweine findet Loy offenbar sympathischer. Jedenfalls darf sich – in „Die andere Zeit“ – ein Ferkel in die Arme der unschuldig auf roten Fluten nachenden Schönen kuscheln.
Loys Farbigkeit kommt in den Räumen des Kunstvereins bestens zur Geltung. Zwischen der schwarzen Holzdecke und dem zu einem aparten Anthrazit abgetreten Fließenboden des 60er-Jahre-Baus bieten die weißen Wänden eine ideale Grundierung von Loys Bildwelten. Deren oft vorhandener unheimlicher Unterton wird durch ausgefeilte Lichtdramaturgie verstärkt. Etwa in „Lotus“, wo eine rothaarige Gärtnerin in einem Meer von schwarzen Kohlköpfen ihren obskuren Zwilling streichelt. Ist das neo-konservativ? Oder post-sozialistischer Realismus, freilich in psychologisch überbordender Gestalt? Jedenfalls ist Loy ist kein Typ für Massenszenen. Maximal vier Menschen tummeln sich auf ihren Bildern, zwei davon oft die imaginären Schwestern, die Loy als Kind erfand, um die Einsamkeit nach einem Umzug zu kompensieren. Insofern stimmt vielleicht die schlichte These von der Malerei als individuellem Tagebuch-Ersatz, die Loy selbst vertritt.