: Und der Zukunft zugebaut
Der Fotoband „Ost-Berlin und seine Bauten“ dokumentiert die Aufnahmen der Ost-Bauverwaltung zwischen 1945 und 1990
VON MARCUS WOELLER
Am 27. Juli 1950 verabschiedete die DDR-Regierung sechzehn städtebauliche Grundsätze. Eine urbanistische Basis für den jungen sozialistischen Staat, die ihm helfen sollte, nach dem Krieg möglichst rasch aus Ruinen aufzuerstehen und sich einer Zukunft zuzuwenden, die architektonisch ein neues Gesicht haben sollte. Die östlichen Bezirke waren jetzt Hauptstadt der DDR und sollten zum Sinnbild der umgekrempelten Ideologie werden. Wie Ostberlin die Kriegszerstörungen beseitigte, sich dem International Style zuwandte, das Wohnungsproblem zu lösen versuchte und die realsozialistische Restauration ertrug – das illustriert das Fotoarchiv der Ostberliner Bauverwaltung.
Über 35.000 Schwarzweiß-Fotografien und mehr als 17.000 Farbdias entstanden zwischen 1945 und 1990 durch die Auftragsfotografen des Magistrats. Nach der Abwicklung der DDR-Behörden kam das Archiv in die Obhut der Senatsverwaltung, ging aber schon 1992 in die Architektursammlung der Berlinischen Galerie ein. Deren Leiterin Eva-Maria Barkhofen initiierte dann vor drei Jahren das Projekt zur Erschließung der Bildbestände. Unterstützt von der Getty Foundation in Los Angeles konnten die Fotos inventarisiert, digitalisiert und wissenschaftlich bearbeitet werden. Bald soll das Archiv auch im Internet recherchierbar sein. Einen ersten Einblick bietet jetzt der Fotoband „Ost-Berlin und seine Bauten“, der 170 zum größten Teil erstmalig veröffentlichte Fotografien versammelt.
Die frühesten zeigen eine Stadtwüste. Ausgebrannte Theater, leergebombte Wohnhäuser und zerstörte Straßenzüge dokumentieren den Nachkriegsalltag, verweisen aber auch auf die Lust zum Neuanfang: Kinos werden provisorisch bespielt, Läden und Wohnungen wieder bezogen und Brücken notdürftig repariert. Aus dem Schutt entstehen in den abgeholzten Parks Trümmerberge, von denen sich Panoramen fotografieren lassen, etwa in das abgeräumte Bötzowviertel.
Dynamit und Abrissbirne regieren. Besonders im Stadtzentrum wird gesprengt, um Platz zu schaffen für das repräsentative Antlitz der neuen Staatsdoktrin. Das Schloss fällt zugunsten eines zentralen Demonstrationsplatzes – obwohl es der Stadt an Aufmarschmöglichkeiten nicht mangelt. Die Nazi-Idee einer Magistrale wird unter sowjetischen Gesichtspunkten weiterverfolgt. Der oberste Stadtarchitekt Hermann Henselmann schlägt in wenigen Jahren die Stalinallee mit ihrer verspielten Bauplastik durch Mitte und Friedrichshain. Dann kippt Ende der 50er-Jahre die Stimmung. Ostberlin soll jetzt „modern“ sein, um dem Westen besser Konkurrenz machen zu können.
Gesellschaftsbauten präsentieren sich nun elegant, geradlinig und filigran wie das Ensemble von Hotel Berolina, Kino International und Café Moskau; selbstbewusst und repräsentativ wie der Alexanderplatz mit Kongresshalle, Fernsehturm und Hotel „Stadt Berlin“. Während die Fotos aus der Stadtmitte von der Sehnsucht nach Spannbeton, weithin sichtbaren Landmarken und achtspurigen Autostraßen dominiert sind, sieht das für die Bevölkerung anders aus. Zunehmend stehen Standardisierung und Entindividualisierung auf dem Plan: der Plattenbau.
Die Fotografien in dem Band bestechen durch ihren dokumentarischen Charakter, der ohne viel Propaganda auskommt. Ihre Veröffentlichung ist nicht nur in Sachen Stadtgeschichte wichtig. Denn Irrwege urbaner Planung wiederholen sich, unabhängig von herrschender Ideologie. Auf einem Foto von 1971 steht neben ersten Hochhäusern noch blockweise alte Bebauung auf der Fischerinsel. Kurze Zeit später ist der Altbau-Kiez gesprengt. Ähnlich erging es den ebenso renovierungsfähigen Gasometern an der Greifswalder Straße. Sie mussten 1982 dem Renommierprojekt Ernst-Thälmann-Park weichen. Das denkmalgeschützte „Ahornblatt“ von Ulrich Müther an der Gertraudenstraße, exemplarisch für die moderne DDR-Architektur, wurde zehn Jahre nach der Wiedervereinigung aus dem Stadtbild entfernt – die Oberfinanzdirektion hatte das Grundstück an einen Investor verkauft. Und der Palast der Republik muss gerade Platz machen, wahrscheinlich für fadesten Historismus. So ist das Fotoarchiv auch eine Mahnung an die Fehlbarkeit von Stadtplanung.
„Ost-Berlin und seine Bauten“. Wasmuth Verlag, Tübingen/Berlin 2006, 196 S., 170 Abb., 24,80 Euro