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: Ein Wiedersehen mit Buñuels Figuren

Cristina Nord ist in Venedig, wo Manoel de Oliveiras neuer Film „Belle toujours“ außer Konkurrenz gezeigt wurde

Catherine Denueve geht die Treppe auf dem Rang der Sala Grande hinunter. Sie trägt halsbrecherisch hohe schwarze Sandalen und ein gesprenkeltes Kleid, neben ihr geht der italienische Schauspieler und Regisseur Michele Placido. Ein Fan kommt auf sie zu, hält ihr Stift und Block entgegen, sie gibt das Autogramm. Deneuve ist Präsidentin der Jury, die heute Abend den Goldenen Löwen vergeben wird, Placido Mitglied dieser Jury. Ehe ich mein Glück begreife, sitzt Catherine Deneuve auf dem Platz direkt vor meinem. Für kurze fünf Minuten darf ich mir ihren Nacken aus nächster Nähe anschauen, dann sagt mir die Assistentin freundlich, mein Platz sei reserviert, ich müsse mir einen anderen suchen.

Eine Art Déjà-vu mit Catherine Deneuve gibt es zwei Tage später, als Manoel de Oliveiras neuer Film „Belle toujours“ außer Konkurrenz gezeigt wird. Auch wenn Deneuve darin nicht mitspielt, ist sie allgegenwärtig. Oliveira inszeniert nämlich eine Spielerei – was wäre, wenn sich die Hauptfiguren aus Luis Buñuels „Belle de jour“ (1967) heute wiederbegegneten? Die Bürgersgattin Severine Serezy, die aus Ennui im Bordell arbeitet, und Henri Husson, der beste Freund ihres Ehemannes, mit dem sie in einem sadomasochistischen Durcheinander verstrickt ist? Das Experiment besetzt Oliveira mit Michel Piccoli in der Rolle Henris und mit Bulle Ogier in der Rolle Severines. Er stellt ihr in Hotellobbys und Bars nach, sie will von ihm nichts wissen. Er wirkt auf den ersten Blick wie ein distinguierter älterer Herr, sein schalkhaftes Wesen tritt jedoch klar zutage, sobald er in einer Bar vier doppelte Whiskys hintereinander trinkt oder vor einem Schaufenster stehen bleibt und die beiden Schaufensterpuppen mustert, als seien sie fremde Tiere. Sie, mittlerweile verwitwet, gibt sich streng und unnahbar, überlegt gar, in ein Kloster zu gehen. Die Severine, die sie einmal war, ist für sie gestorben – und dennoch lässt sie sich schließlich darauf ein, mit Husson zu Abend zu essen. Der macht ihr ein Geschenk: eine schwarze Schatulle, die schon in „Belle de jour“ ein Objekt barg, das von ungeahnten Perversionen kündete – ohne dass das Geheimnis um dieses Objekt je gelüftet worden wäre. Bei Oliveira wird die Schatulle zwar geöffnet, aber mehr als ein sirrendes Geräusch ist nicht zu vernehmen.

Schauplatz von „Belle toujours“ ist Paris. Oliveira kommt mit wenigen Settings und einigen Establishing Shots aus, um die Stadt zu etablieren. Deutlich wird dabei, dass sich auch mit geringem Aufwand, mit ruhiger Kamera, wenigen Locations und einem kleinen Ensemble viel erreichen lässt – in diesem Fall ein Film von einer wunderbaren Frivolität, der aber zugleich die Dramen sehr ernst nimmt, von denen er in der Rückschau spricht. Auf der einen Seite versteht sich „Belle toujours“ auf zarten Nonsens – nachdem etwa Severine erbost die Tafel verlassen hat, an der sie mit Henri gespeist hat, steht ein Huhn in der geöffneten Tür. Auf der anderen Seite lassen sich die Figuren auf kluge, beinahe philosophische Dialoge ein – besonders zwischen dem jungen Barkeeper, der Henri die Whiskys einschenkt, und Henri fliegen die Repliken zum Thema Geheimnis und Beichte elegant hin und her.

Der portugiesische Regisseur Manoel de Oliveira ist 98 Jahre alt. Er hat allein seit 2000 sieben Spielfilme gedreht, „Belle toujours“ eingerechnet. Es bedauerlich, dass die wenigsten davon in deutschen Kinos zu sehen sind („Vou para casa/Je rentre à la maison“ bildete 2001 eine Ausnahme). Es ist umso bedauerlicher, als die Schaffenskraft, der Witz und die Altersweisheit diesen großen Autorenfilmers ungebrochen sind. Man nimmt sich etwas weg, wenn man seine Arbeiten den Filmfestivals überlässt. CRISTINA NORD