: Von der Arbeit im 21. Jahrhundert
„Workingman’s Death“ von Michael Glawogger
Körperliche Arbeit sieht man nur sehr selten im Kino. Auf der Leinwand wird mehr getrunken, gegessen, geküsst, geschlafen und gestorben als gearbeitet. Natürlich besteht die Tätigkeit eines Schweißers, Schusters oder Schlachters aus immer gleichen, wohlbekannten Bewegungen, und diese sind weder dramaturgisch noch ästhetisch besonders reizvoll. Aber der tiefere Grund für diesen blinden Fleck in der cineastischen Bilderwelt besteht darin, dass das zahlende Publikum nach Feierabend im Kino ja gerade dieser Arbeitswelt entfliehen will. Abgesehen von einzelnen Filmen, die als Ausnahmen die Regel bestätigten, gab es nur eine Bewegung, mit der versucht wurde, diese Verhältnisse zu ändern: Im sowjetischen Kino der Stalinära wurden Heldenlieder der Arbeit fabriziert, und so gab es in Russland zwischen den 30er und 50er Jahren eine Vielzahl von Spielfilmen, in denen Proletarier mit verzückten Gesichtern auf Traktoren fuhren oder Webstühle bedienten. Die Ikone dieser Zeit war der Arbeiterheld Aleksej Stachanov, der 1935 angeblich in einer einzigen Schicht unter Tage 102 Tonnen Kohle abgebaut hat. Mit Wochenschauaufnahmen von ihm beginnt der Österreicher Michael Glawogger seine Dokumentation „Workingman’s Death“ und setzt damit thematisch und stilistisch einen deutlichen Startpunkt.
Denn die Bergleute, die der Filmemacher heute in Stachanovs Heimat, der Ukraine fand, arbeiten unter ganz anderen Bedingungen: Die großen Bergwerke sind längst geschlossen, und eine Handvoll von Männern und Frauen baut nun in illegalen Minen Kohle ab. Deren Gänge sind kaum 40 cm hoch und völlig ungesichert. Dort mit dem Hammer die Kohle Stück für Stück herauszuschlagen, ist eine lebensgefährliche Arbeit. Glawoggers Kameramann ist mit in diese engen, dunklen und staubigen Gänge gekrochen, und seine Bilder haben eine klaustrophobisch-beklemmende Qualität. Und sie zeigen die einzelnen Handgriffe, die Bedingungen, die Gefahren, die Verhältnisse, in denen die Arbeiter leben. Diese Methode scheint ganz prosaisch und nüchtern zu sein, und doch sind viele der Aufnahmen so bildgewaltig, ist die Montage so musikalisch und unterstützt die rhythmische Musik des Jazzers John Zorn diese Wirkung so effektiv, dass der Film auch das einfängt, was Maxim Gorky einmal die „Poesie der Arbeit“ genannt hat. Glawogger ist eher an der filmischen Wirkung als an dem Informationswert seiner Bilder interessiert, und so erinnert sein Film stilistisch nicht so sehr an andere aktuelle Dokumentarfilme wie „We feed the World“ oder „Darwins Alptraum“, sondern an den Bilderrausch von Godfrey Reggios „Koyaanisqatsi“.
Der Film besteht aus fünf Momentaufnahmen von Menschen, die extreme körperliche Schwerstarbeit leisten. In Indonesien hat Glawogger Schwefelträger gefilmt, die durch die giftigen Dämpfe eines Vulkans schwere Körbe vom Krater herunter tragen. In einem nigerianischen Schlachthof werden Stiere und Ziegen unter freiem Himmel und ohne Maschinen getötet, gehäutet, zerteilt, geröstet und verkauft. In der eindrucksvollsten Sequenz des Film sieht man pakistanischen Arbeitern dabei zu, wie sie auf einem Schiffsfriedhof am Strand Tanker zerlegen und die Teile zu Schrott verarbeiten. Man kann sich gut Sisyphos als solch einen Tagelöhner zwischen Meer und Wüste vorstellen. Grund für Optimismus besteht nur im letzten Kapitel, das Stahlarbeiter an einem modernen Hochofen im chinesischen Stahlwerk Liaonig zeigt. Schon daran, wie marginal all diese Arbeiten sind, und an welche fernen Orte der Filmemacher rund um die Welt reisen musste, um die Arbeitsplätze überhaupt noch zu finden, wird deutlich, dass hier eine vom Aussterben bedrohte Spezies für die Nachwelt gefilmt und so dokumentiert wurde.
Wilfried Hippen