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Archiv-Artikel

Präsident bleibt, die Bürger gehen

Gambia ist ein wichtiges Herkunfts- und Transitland der afrikanischen Migranten auf den Kanaren. Heute will sich Präsident Jammeh wiederwählen lassen, „für vierzig Jahre“

BERLIN taz ■ Die illegalen Einwanderer, 46 Ghanaer und ein paar andere Westafrikaner, wussten nicht, wie ihnen geschah. Kaum hatten sie die Grenze von Senegal nach Gambia überschritten, wurden sie verhaftet und ins Marinehauptquartier der gambischen Hauptstadt Banjul gebracht. Mit Stricken und Stromkabeln gefesselt, transportierten die Militärs sie an unterschiedliche Stellen außerhalb Banjuls und richteten sie brutal hin, zum Teil mit Macheten. Die Leichen wurden liegen gelassen. Zwei der Ghanaer hatten Zeit, zu fliehen und ihre Geschichte zu erzählen, bevor auch sie von der Polizei eingefangen wurden.

So berichtete vor zwei Wochen ein hoher gambischer Regierungsbeamter über den angeblich wahren Hintergrund einer Serie mysteriöser Leichenfunde, die das kleine westafrikanische Gambia im Sommer 2005 in Atem gehalten hatte. Staatschef Yahya Jammeh persönlich habe die Tötungen angeordnet, hieß es in den Zeitungsartikeln darüber – mitten im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl, die heute in Gambia stattfindet. Dem Bericht zufolge waren die Migranten Opfer einer Verwechslung: Die Sicherheitskräfte hielten sie für die Vorhut einer Putschistenarmee.

Die Affäre wirft ein Schlaglicht auf den brutalen Umgang der Regierung Gambias nicht nur mit vermeintlichen Gegnern, sondern auch mit illegalen Einwanderern, die Gambia zunehmend als Transitland nach Europa nutzen. Gambia ist heute neben Senegal und Mauretanien eines der wichtigsten Herkunftsländer der über 25.000 „Boat People“ aus Westafrika, die per Boot auf die Kanarischen Inseln gelangt sind.

Die Rolle Gambias als Transitland ist geografisch bedingt. Das Land besteht aus einem schmalen Landstreifen, der von der Atlantikküste 300 Kilometer tief entlang des Gambiaflusses nach Westafrika hineinreicht und das umliegende Senegal nahezu in zwei Teile schneidet. Wer von Senegals größerem Nordteil um die Hauptstadt Dakar in den Südteil reist – in die Region Casamance, die zwischen Gambia und Guinea-Bissau liegt – muss meistens über gambisches Gebiet, und Gambia lebt von seiner Rolle als Zwischenstation. Von den 1,4 Millionen Einwohnern Gambias, mehrheitlich Muslime, sind rund ein Achtel Ausländer.

Seit Senegal auf Drängen der EU immer schärfer die eigenen Küsten kontrolliert, damit weniger Fischerboote mit Auswanderern in See stechen, ist Gambia ein attraktiver Ausgangspunkt für Migranten geworden. Dies gilt um so mehr, als in der südsenegalesischen Casamance seit Jahrzehnten Bürgerkrieg herrscht: Bewaffnete Rebellen kämpfen dort für die Unabhängigkeit. Erst im August flammten die Kämpfe neu auf, über 5.000 Menschen flohen seitdem nach Gambia – und viele davon suchen nun nach Möglichkeiten zur Weiterreise.

Dies wird von Gambias Behörden hart bestraft. Am Donnerstag letzter Woche verurteilte ein Gericht in Banjul 14 Senegalesen wegen illegaler Einreise zu Geldstrafen von je umgerechnet 55 Euro oder alternativ ein Jahr Haft. Sie seien am 2. September ohne Papiere eingereist und hätten vorgehabt, auf die Kanaren weiterzufahren, hieß es.

Im Wahlkampf spielt die Frage, wer sich legal im Land aufhält und wer nicht, eine große Rolle. Die Opposition sagt, Präsident Jammeh habe zehntausenden Senegalesen aus der Casamance widerrechtlich das Wahlrecht in Gambia gewährt, um seine Wiederwahl zu sichern.

Die Opposition wirft Jammeh außerdem vor, die Bevölkerung in die Emigration zu treiben: Der einheimische Fischfang werde durch fremde Flotten in den Ruin getrieben, die einheimische Landwirtschaft durch Billigimporte. Aber die Opposition ist zu zerstritten und profillos, um eine reelle Siegeschance zu haben. Der 41-jährige Präsident Jammeh, 1994 per Militärputsch an die Macht gekommen, sagte auf seiner Abschlusskundgebung, niemand könne ihn entmachten außer Gott. Im Koran stehe, dass er Gambia regieren solle, und das werde er die nächsten vierzig Jahre auch tun. „Ich werde die Regionen entwickeln, die für mich stimmen“, sagte er. „Wenn ihr nicht für mich stimmt, könnt ihr auch nichts erwarten.“

DOMINIC JOHNSON