IM HINTERHOF
: Unbeobachtet

Habe ich Bonbons im Haus, werfe ich sie vom Balkon hinunter

Vom Balkon meiner Wohnung im vierten Stock habe ich den gesamten Innenhof im Blick: den Sandkasten, die Fahrradständer, die Mülltonnen und auch das Trafohäuschen wenige Meter neben dem Hof. Stehe ich auf dem Balkon, komme ich mir vor wie ein Voyeur. Was auch immer die Menschen unter mir tun, sie tun es ganz für sich, weil sie sich unbeobachtet fühlen.

Irgendwann habe ich aufgehört, die Männer zu zählen, die neben oder hinter dem Trafohäuschen urinieren. Manche haben so viel Bier intus, dass ich das Pladdern und andere Geräusche bis hoch zum Balkon höre. Bisweilen rufe ich laut „Ferkel!“ oder „Pissnelke!“ und verstecke mich zwischen den Töpfen mit den dickblättrigen Fetten Hennen, um mich über die irritierten Gesichter der Ferkel und Pissnelken zu amüsieren. Richtig Spaß macht es, wenn Kinder im Sandkasten spielen. Habe ich Bonbons im Haus, werfe ich sie wie Kamelle vom Faschingswagen hinunter, und die kleinen Hausbewohner stürzen sich darauf, als gebe es kein Morgen. Ist es im Sommer richtig heiß, kriegen sie eine Dusche. Dann nehme ich die Gießkanne und während ich sie damit gieße, rufe ich: „Damit ihr schön wachst!“ In letzter Zeit tauchen immer öfter Müllsammler auf. Neulich durchsuchten zwei junge Männer die Hinterlassenschaften der Mieter nach Verwertbarem. Aus der Flaschentonne fischten sie einige Pfandflaschen, aus der Papiertonne holten sie Karton und stapelten ihn säuberlich aufeinander, in der gelben Tonne stießen sie auf einen Duschkopf, einen Wasserkocher, eine alte Kamera und Kleidung. Jedes Teil unterzogen sie einer gründlichen Überprüfung.

Als die Männer all die herausgekramten Sachen, die sie nicht mitnahmen, wieder fein säuberlich in die entsprechenden Tonnen taten, verließ ich meinen Kontrollposten auf dem Balkon und schämte mich ein bisschen. BARBARA BOLLWAHN