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Archiv-Artikel

Chinesische Mikro-Blogger Schal stricken im Internet

VON JUTTA LIETSCH

NEBENSACHEN AUS PEKING

Wenn es um das neueste elektronische Spielzeug geht, liegen wir in China ganz vorn. Wer es sich irgendwie leisten kann, kauft sich ein Smartphone. Nur Technosaurier begnügen sich mit einem einfachen Telefon-Handy. Die neue Technik hat inzwischen nicht nur das Leben und die Informationsgewohnheiten von Hunderten Millionen Chinesen verändert, sondern auch eine eigene Sprache geschaffen: Als mich kürzlich meine Bekannte Wang Xin fragte, ob ich mit meinem Handy „einen Schal stricke“, war ich zunächst verblüfft.

Sie wollte wissen, ob ich zur Gemeinde der Mikro-Blogger gehörte, die sich im Internet einen Fan- und Freundeskreis aufbauen und ununterbrochen auf ihre schicken Handys tippen, um sich mit höchstens 140 Schriftzeichen gegenseitig darüber zu informieren, was sie gerade tun oder wie es ihnen geht. Auf Chinesisch wird das Wort „Mikro-Blog“ wie „Schal“ ausgesprochen.

Wang Xin ist 29 Jahre alt und immer auf dem neuesten Stand. Sie interessiert sich für Prominente wie die Fernsehmoderatorin Xu Xidi, die sich den Künstlernamen „Xiao S“ zugelegt hat. Die hält ihre 2.510.466 Fans mit Informationen aus ihrem Alltag auf dem Laufenden, etwa mit Stoßseufzern über unartige Töchter.

Der im Ausland bekannte Mikro-Blog-Dienst „Twitter“ ist in China gesperrt, ebenso wie internationale Netzwerke und Webseiten wie YouTube und Facebook. Spätestens seit den Unruhen in den Grenzregionen Tibet und Xinjiang wollen Sicherheitsbehörden verhindern, dass unzufriedene Bürger aus den verschiedensten Ecken des Landes online Proteste organisieren.

Zwar können Blogger und Surfer diese Sperren mit Hilfe besonderer Software relativ leicht überwinden. Aber die Behörden haben diese Informationskanäle bereits im Blick.

Wie die meisten Chinesen macht sich meine Bekannte Wang Xin nicht diese Mühe: „Es gibt so viele chinesische Webseiten und Blogs, die reichen mir völlig aus“, sagt sie.

Um sicherzugehen, dass Chinas Mikro-Blogger keine „subversiven“ Inhalte verbreiten, hat die Regierung die großen Anbieter-Firmen kürzlich angewiesen, sogenannte Selbstdisziplin-Kommissare einzusetzen. Wenn sie nicht ihre Lizenz verlieren wollen, müssen sie auf eigene Kosten den Wust an Zeichen kontrollieren, der über ihre Dienste verbreitet wird.

Wer die Zensur passieren will, muss dann halt einen Schal mit einem besonders komplizierten Muster stricken.