: Das Raue bewahren
ALLERLIEBSTE MUSIK Die neue Kammermusik des Pianisten, der sich Hauschka nennt, verbindet Strategien aus Elektronik und Klassik
VON TIM CASPAR BOEHME
Ist es jetzt also doch ein Trend? Vor einem Jahr war „Elektronik trifft Klassik“, die Annäherung von hochkultureller „E-Musik“ und hedonistischer elektronischer Clubmusik, ein vielbesprochenes Phänomen. Was da im Einzelnen zu hören war, ließ allerdings zweifeln, ob es einen solchen Trend tatsächlich gibt. Bei einzelnen Musikern kann man derzeit dennoch überraschende Entwicklungen beobachten. Hauschka etwa, das Projekt des Pianisten Volker Bertelmann, bewegt sich auf seinem neuen Album „Foreign Landscapes“ stark in Richtung klassische Musik.
Hauschka kannte man bisher als ungewöhnliches Soloprojekt mit präpariertem Klavier. Bertelmann pflegt auf dessen Saiten diverse Alltagsgegenstände zu legen. So holt er aus seinem Instrument Klänge fernab der sperrigen Sounds, wie man sie normalerweise mit dem vom Avantgardisten John Cage erfundenen „prepared piano“ assoziiert. „Mit präpariertem Klavier arbeitet niemand so wie ich,“ stellt Bertelmann klar. Sein Konzertflügel klingt zwar den Umständen entsprechend spröde, die Musik, die er damit macht, ist gleichwohl freundlich und dem Hörer zugewandt. Auch auf seinem neuen Album muss man keine schrillen Töne fürchten.
„Foreign Landscapes“ ist Bertelmanns erstes komponiertes Album, ausgeführt von einem zwölfköpfigen Kammerensemble. Statt wie gewohnt zu improvisieren, schrieb der ehemalige Klavierschüler Noten für die klassisch ausgebildeten Streicher und Bläser des Magik Magik Orchestra aus San Francisco. Die Entscheidung, mit anderen Musikern zu arbeiten, traf er bewusst: „Das hat ganz viel mit Reduktion zu tun. Natürlich ist das präparierte Klavier total wichtig, aber ich dachte, ich muss mal versuchen, es aus dem System rauszunehmen.“ So sind Instrumentalkompositionen entstanden, die unter anderem von Arnold Schönbergs spätromantischem Streichsextett „Verklärte Nacht“ inspiriert wurden. Darin ist außerdem eine starke Nähe zum Minimalismus à la Steve Reich zu erkennen. Es kommen aber auch Töne vor, wie man sie von klassischen Komponisten kaum erwarten würde. Die Streicher spielen nicht mit strahlend-schmissiger Virtuosität, sondern gestatten sich eine gewisse Schroffheit im Umgang mit ihren Instrumenten.
In diesem Verzicht auf polierte Oberflächen wird die Handschrift des Klangpräparators Bertelmann deutlich. Die Verfahren für sein eigenes Instrument überträgt er auf die anderen Musiker. Darin sieht er eine Nähe zur elektronischen Musik: „Ich finde es gut, wie das so in dieser Spannung zwischen klassischer und elektronischer Musik bleibt. Ich wollte das Raue darin behalten.“ Daher half ihm auch kein klassischer Toningenieur, vielmehr nahm er in einem analogen Studio auf.
Diese Verbindung von Strategien aus Elektronik, Pop und Klassik passt zu Bertelmanns musikalischer Sozialisierung. In der siegerländischen Kleinstadt Kreuztal wuchs er mit Klassik und Pop auf. Nach ersten Banderfahrungen als Teenager bekam er Mitte der Neunziger mit der Band God’s Favorite Dog einen Plattenvertrag bei Sony. Die Band nahm ein Album auf, dann wurde der Vertrag vom Label vorzeitig beendet. Seit dieser „Major-Erfahrung“ war für Bertelmann klar: „Das würde ich nie wieder machen. Ich möchte zu einem Indie-Label.“
Es folgten diverse elektronische Projekte. Zu Hauschka fand er eher zufällig. Als er mit einem der Projekte bei einem Freund in Wales im Studio war, spielte er nebenher immer Klavier. Worauf ihn der Freund fragte, ob er nicht mal eine Klavierplatte machen wolle. „Ich dachte, das ist ja Musik, die ich für mich zu Hause spiele. Ich weiß gar nicht, ob das jemand will. Irgendwann habe ich gemerkt, das ist die Musik, die ich am allerliebsten mache.“
Heute füllen seine Konzerte große Häuser, er bekommt Kompositionsaufträge für Theater und würde auch bei einer Opernanfrage nicht nein sagen. Sein neues Album ist für ihn dabei eine Momentaufnahme auf dem Weg zu immer größerer Komplexität. Als Einbahnstraße betrachtet er diesen Prozess jedoch nicht. Seine nächste Platte wird wieder etwas für Klavier. „Das wird ein Techno-Album. Nicht im herkömmlichen Sinne, ich spiele alle Techno-Sachen wie Bassdrum oder Snares mit dem Klavier. Ich wollte es so machen, dass es eine Club-Connection hat. Ich werde jetzt nicht nur noch Stücke für großes Orchester schreiben.“
■ Hauschka: „Foreign Landscapes“ (FatCat)
■ Hauschka, Max Richter, HAU 1, 3. November, 19.30 Uhr