: Der Schritt in die Kälte
Der Umgangston bei der taz bremen muss in früherer Zeit, um es höflich zu sagen, ziemlich deutlich gewesen sein. Da wurde gebrüllt, gebellt und beleidigt. Zeugnis eines Davongekommenen
von HOLGER GERTZ
Es war ein Montag im Jahr 1990, mein erster Tag in der taz bremen. Er war sehr heiß draußen, aber in der taz war es sehr kalt. Das lag an Klaus Schloesser. Ich hörte ihn schon draußen auf dem Flur. Er brüllte gerade eine Praktikantin zusammen. Ich öffnete die Tür zum taz-Büro, sozusagen auch die Tür zum Journalismus, dann sah ich Schloesser. Ein großer, dünner Mann, der gerade diese Praktikantin zerfleischte. Sie hatte Tränen in den Augen. Er hatte wirres Haar. Sie saß. Er stand. Sie wollte Journalistin werden, aber Schloesser hielt das für den falschen Plan. „Mach’ was anderes, Herrgott noch mal, halt dich vom Journalismus fern.“ Schloesser bellte jetzt. Die Praktikantin wollte tapfer sein und diskutieren, es war der Moment, wo man sich denkt: Halt den Mund, dann ist es schneller vorbei. Aber es hörte nicht auf, ein blutiger Kampf, an dessen Ende Schloesser schweigend und dampfend auf den Boden schaute, während die Praktikantin aus dem Haus rannte. Man hat nie mehr was von ihr gehört.
Die Praktikantin war meine Vorgängerin. Jetzt war sie weg. Ich hatte nicht viel zu verlieren. Wenn der Vorgänger derart verabschiedet wird, ist das auch ein Zeichen dafür, dass er die Latte nicht sehr hoch gelegt hat. Schloesser hatte die Verhältnisse geklärt. Ich bemühte mich um einen Schreibtisch weit weg von ihm. Meinem Wunsch wurde entsprochen.
Die nächsten Wochen wurden wider Erwarten erträglich. Ich schrieb dies und das, vor allem las ich, was Schloesser und die anderen so schrieben. Es gefiel mir. Man konnte bei der taz bremen alles schreiben, man konnte auch jemanden beleidigen, sofern es der Richtige war. Schloesser soff Kaffee, während er am Telefon recherchierte, und er schirmte sich gegen seine Umgebung ab durch eine blaue Wolke. Damals roch Journalismus noch nach Kaffee und Zigaretten, nicht wie heute nach Red Bull. Es entstanden schöne Glossen, nicht von mir, sondern von Kollegen, die jetzt bei der Zeit sind oder beim Spiegel. Es ging in diesen Glossen um die verachtenswerte Kunst des Liedermachers Ludwig Hirsch genauso wie um die Frage, warum das Wasser in einer Dusche manchmal ohne Grund oder Ankündigung von bibberkalt zu siedend heiß umschaltet. Ich kannte vorher nur die Oldenburger Nordwest-Zeitung, sie war dick und langweilig. Die taz bremen war dünn und spannend.
Mit den meisten Redakteuren konnte man über die Texte reden: Warum schreiben oft heißt, sich gegen Wörter zu stemmen. Ich schrieb auch nach dem Praktikum dort weiter. Ich hatte das Gefühl, besser zu werden. Als ich, zur Vorbereitung auf diesen Text, noch mal in eigenen Artikeln von damals gelesen habe, fand ich darin allerdings Sätze wie diesen: „Wenn die Sonne kräftig vom Firmament herunterbrennt, geht’s auf Erden der Erdbeere an den Kragen.“ Ein grässlicher Satz, mir ist nicht klar, in welchem Zustand ich mich befunden haben muss, um ein Wort wie Firmament zu schreiben. Jedenfalls bin ich damals vermutlich knapp an einer Schloesser’schen Totalrasur vorbeigeschrammt, oder er war gnädig mit mir, weil ich ihm wurscht war.
Irgendwann bin ich dann nach München, erst zur Deutschen Journalistenschule und dann zur Süddeutschen Zeitung. Dort kann man im Prinzip auch alles schreiben. Die SZ ist sehr dick, in guten Augenblicken ist sie trotzdem spannend. Im Grunde ist die SZ nichts anderes als die Fortsetzung der taz bremen mit anderen Mitteln.
Schloesser war später ein paar Jahre bei Radio Bremen im Fernsehen, das man über Kabel auch in München empfangen kann. Mehrmals saß ich in meinem SZ- Büro in der Nähe des Marienplatzes und nahm auf dem Bildschirm Schloessers greifvogelhaften Kopf wahr, wie er so halb ins Bild ragte, und ich fühlte mich erleichtert, ihm begegnet, aber auf so elegante Weise entkommen zu sein.
Vor ein paar Jahren habe ich ihn dann noch mal in Bremen getroffen. Ich schrieb für die „Seite Drei“ eine Reportage über Politikverdrossenheit; dafür brauchte ich Henning Scherf als eine Art Gegenmodell. Schloesser war inzwischen sein Sprecher. Sein Haar war dünner jetzt und kürzer, natürlich erkannte er mich nicht, aber er war sehr freundlich. Henning Scherf klemmte mich, wie es seine Art ist, unter den Arm und schleifte mich in sein Besprechungszimmer, deshalb blieb mir keine Zeit, mich bei Schloesser – und damit auch bei der taz bremen – für bleibende Eindrücke zu bedanken. Auf diesem Wege sei das nachgereicht.
Hinweis:Holger Gertz, 37, Reporter und „Streiflicht“-Autor bei der Süddeutschen Zeitung, machte bei der taz bremen erste journalistische Schritte.