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Archiv-Artikel

Hektischer Aufbruch, stoisches Warten

DOPPEL-AUSSTELLUNG Die Kunsthalle Kiel zeigt Zivilisations-Landschaften der Langsammalerin Corinne Wasmuht – und stellt ihr andere Wirklichkeitsbeobachter gegenüber

2001 beginnt Wasmuht, ihre Bilder am Bildschirm vorzukomponieren, bevor sie sich vor das zu malende Bild setzt und stellt

AUS KIEL FRANK KEIL

Manchmal ist es so einfach wie zunächst vordergründig konventionell: Man geht durch eine Tür in eine Halle und dann hängen da nacheinander eine Reihe von großformatigen Bildern, die man sich einfach nur anschauen soll. Es flimmert also nirgendwo ein Bildschirm, es rieseln keine rätselhaften Stimmen aus irgendeinem versteckten Lautsprecher, der Besucher ist auch nicht Teil irgendeiner Inszenierung. Es zählen allein und nur die Bilder. Enttäuscht?

Nicht wirklich und erst recht nicht auf Dauer. Denn es tut gut, wenn sich der Kunstinteressierte mal wieder in einem zuweilen fast altmeisterlich wirkenden Kontext wiederfindet, wenn nicht mehr von ihm verlangt wie erwartet wird, als dass er seine Sehgewohnheiten mal neu justiert – und sei es nur für eine halbe Stunde. In diesem Fall geht es nach Kiel, wo sich am Ende eines Parkes, der der Fußgängerzone folgt, die mit neuem mächtigen Portal flankierte Kunsthalle erhebt.

Gezeigt wird hier eine erst grundsolide und schließlich berückende Werkschau der in Düsseldorf geborenen und in Bolivien und Argentinien aufgewachsenen Malerin Corinne Wasmuht. Sie lebt heute zur einen Hälfte in Berlin, zur anderen Hälfte aber in Karlsruhe, wobei Letzteres sich dadurch erklären dürfte, dass sie an der dortigen Akademie der Bildenden Künste eine Professur für Malerei und Grafik innehat. Ganz erstaunlich: Ganze 19 Bilder aus 25 Jahren sind zu sehen. Wasmuht ist eine Künstlerin, die ihr eigenes Tempo pflegt und die sich nicht von den Irrungen und Wirrungen des Kunstmarktes zur Hektik antreiben lässt.

Nehmen wir einfach die ersten drei Bilder aus den Jahren 2010 bis 2013, wenn man also durch die Tür getreten ist und man sich im ersten Teil der Kunsthalle befindet: Sie zeigen Landschaften. Zeigen Straßenansichten, Blicke in Shopping Malls und immer wieder finden wir uns in Flughafenlandschaften wieder, mit ihren Zwischengeschossen, ihren ständigen Auf- und Abgängen, wie sie ein gleichzeitiger Ort des hektischen Aufbruchs wie des stoischen Wartens sind.

Und so wimmelt es auf Wasmuhts Flughafenlandschaften immer auch vor Menschen und Menschenteilen oder Menschenschattierungen, die uns heimisch sind und fremd zugleich; erkennbar und im Auflösen begriffen. Wo wollen wir hin, wo kommen wir her? Allein: Wo ist oben und wo ist unten? Und wer hat warum welche Ebenen eingezogen, auf denen wir nicht sicher sind? Und wie mag es daher Menschen ergehen (uns!), die sich in diesen Welten wiederfinden müssen?

Zum Glück gibt es in dieser, aber auch in den folgenden Abteilungen kleine, niedrige Bänke, auf denen man sich gut niederlassen kann, um in Ruhe Corinne Wasmuhts Bilder zu schauen – so wie auch die Bilder auf einen schauen und auch dafür ihre eigene Zeit brauchen.

Es war kein einfacher, gradliniger Weg in diese Welt, wie man zu verstehen beginnt, wenn man im oberen Teil der Halle auf der Empore auf Wasmuhts ältere Arbeiten stößt, die im Abgleich zu ihren Bildern der letzten, neuen Jahre plötzlich seltsam konstruiert, manchmal fast altbacken wirken und denen eben die Zeit anzumerken ist: „Menschen im Kunstlicht“ von 1999 zeigt wie in einem zersplitterten Spiegel in damals poppigen Farben Sänger mit Mikrophonen und Wissenschaftler in Schutzanzügen. In „Räume“, drei Jahre zuvor, spielt Wasmuht mit architektonischen Mustern und Perspektiven. Ihr holzbrauner, dreiteiliger Zyklus „Haare“ von 1991 bis 1993 wirkt mehr als 20 Jahre später wie eine fleißige Intarsienarbeit; ein Effekt, der noch verstärkt wird, da Wasmuht bis heute nicht auf Leinwand malt, sondern eben auf Holz. Ein bisschen quer dazu liegt ihr dreiteiliges Bild „Mikroskopische Anatomie“ von 1994, das sich mit viel Humor und noch mehr Witz die Vorstellungswelten vom Inneren unseres Körper vornimmt, wobei die Idee, Nervenbahnen wie Elektroleitungen zu zeichnen, die sowohl simpelste wie einleuchtendste zugleich ist.

2001 aber muss – so legt es jedenfalls die Auswahl nahe – bewusst eine Art Bruch stattgefunden haben: Mit Wasmuhts Bild „Gewalt“ geht es plötzlich mit Macht hinaus in die Welt, ins Soziale, ins Dickicht des Urbanen als Räumliches. Die fleckenhafte Gestalt könnte ein Mensch sein, der zusammengetreten wird. Eine weitere Figur scheint ein Gewehr zu erheben, während als letztes, klar erkennbares Sujet ein PKW unverrückbar unter einer Straßenlaterne abgestellt bleibt.

Dazu will fast schon fast zu gut die Information passen, dass Wasmuht ab eben 2001 beginnt, ihre Bilder am Bildschirm vorzukomponieren, bevor sie sich anschließend vor das zu malende Bild setzt und stellt. Apropos Hintergrundinformationen, die zwar auch in ihrem Falle nicht zwingend nötig, aber dann doch erklärend-erhellend sind: Ihr Bild mit dem Titel „DFW-CDG“ nutzt die Abkürzungen zweier internationalen Großflughäfen, nämlich von Dallas/Fort Worth und vom Pariser Charles de Gaulles; „Ezeiza“ ist der Name des Flughafens wie des ihn umgebenden Stadtviertels von Buenos Aires; und „703“ Zentimeter misst nicht nur das gleichnamige Bild in seiner Breite, es ist eben auch ein Verweis auf die legendäre Boeing 703, auch wenn es längst diverse Folgemodelle gibt, die uns heute durch die Lüfte fliegen.

Es passt übrigens bestens, dass die Wasmuht-Retrospektive wie nebenbei von einer zweiten Ausstellung flankiert wird: „Kiel leuchtet! Im Rausch der Farben“. Unter diesem Slogan hat Kunsthallenleiterin Anette Hüsch Teile der Sammlung des Hauses neu präsentiert. Und hier trifft man nicht nur auf jede Menge Künstler-KollegInnen, die gleichfalls – nur eben zu ihren Zeiten – unterwegs waren, die ihnen gegenübertretende Welt malerisch zu fassen, wie Emil Nolde, Max Beckmann, Marcus Lüpertz oder Arnulf Rainer. Aber eben auch unmittelbare Nachbarn aus unseren Tagen sind zu sehen, wie Daniel Richter und Peter Doig.

Beide malen seit Jahren wie Wasmuht vornean in der ersten Liga der neuen, durchaus innerlich-politischen Malerei und man bekommt mehr als eine Ahnung, wie bei aller Unterschiedlichkeit im malerischen Gestus hier ein Blick auf die sich ständig neu formierende so genannte Wirklichkeit gewagt wird. Wenn man also eine Empfehlung aussprechen darf: Erst die Wasmuht-Show schauen, dann bitte durch die Rausch-Sammlung schlendern und danach noch mal bei Frau Wasmuht vorbeischauen – und das Vergnügen wird sich wie von selbst verdreifachen.

Corinne Wasmuht: Supraflux, bis 9. Juni Kiel leuchtet! Im Rausch der Farben, bis 21.September