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Archiv-Artikel

Geldquelle oder Schlammloch

Nach 92 Jahren ist der Panamakanal zu eng geworden. Am Sonntag soll das Volk über seine Erweiterung abstimmen. Gegner des Ausbaus befürchten ein ökologisches und finanzielles Desaster

AUS PANAMA-STADT TONI KEPPELER

Schwüle Hitze liegt über der Bucht vor Panama-Stadt. Über 90 Prozent Luftfeuchtigkeit, fast 35 Grad im Schatten. An die hundert Containerschiffe dümpeln auf dem Wasser. Stau vor der Schleuse von Miraflores. Manchmal dauert es eine ganze Woche, bis ein Schiff in die 60 Kilometer lange Passage einfahren darf. In acht Stunden tuckert es dann vom Pazifik hinüber in den Atlantik. Die größten Schiffe bezahlen mehr als 300.000 Dollar Maut. Das rechnet sich. Eine Fahrt durch den Panamakanal erspart einen zwei Wochen und fast 15.000 Kilometer langen Umweg um Kap Horn.

Doch der Kanal ist nach 92 Betriebsjahren alt geworden und an die Grenze seiner Kapazität gelangt. 1914, als er nach zehn Jahren Bauzeit in Betrieb genommen wurde, erschien er riesig. Die nach der Größe seiner Schleusenkammern gebauten Schiffe, die bis zu 4.000 Container laden konnten, nannte man die Panamax-Klasse. Doch die heutigen Giganten bringen 10.000 solcher Metallbehälter unter. Der Kanal könnte bald obsolet sein. Präsident Martín Torrijos will dem zuvorkommen. Sein Vater Omar hatte 1977 als Militärdiktator den USA die Wasserstraße abverhandelt. Seit Ende 1999 wird sie von Panama verwaltet. Der Sohn will den Kanal für die Zukunft fit machen und an beiden Enden ein dreistufiges Schleusensystem bauen lassen. Es soll Schiffe aufnehmen können, die bis zu 427 Meter lang und bis zu 55 Meter breit sind. 5,7 Milliarden Dollar soll das kosten, 2014 soll es fertig sein.

Am kommenden Sonntag soll das Volk über das Vorhaben abstimmen. Laut Umfragen wird Torrijos zwar eine Mehrheit bekommen. Doch Umfragen sind in Panama weniger zuverlässig als der Wetterbericht. Und die Kritik an der Kanalerweiterung ist breit.

Das größte Problem ist das Wasser. Mit jedem Schiff, das jetzt durch die kleineren Schleusen gehievt wird, fließen eine halbe Million Hektoliter Süßwasser ins Meer. Dafür wurde beim Bau des Kanals der Gatún-Stausee angelegt. 14 Dörfer verschwanden unter den Fluten. Entsprechend waren die Bauern die Ersten, die sich gegen die Kanalerweiterung wehrten. Doch Torrijos beteuert: Es wird keine neuen Überflutungen geben. Stattdessen sollen riesige Becken gebaut werden, in denen man 60 Prozent des zum Anheben der Schiffe verbrauchten Wassers zur Wiederverwendung auffangen könne.

Doch auch so bleibt unklar, woher dieses Wasser kommen soll. Schon jetzt leidet der Kanal immer wieder unter Trockenheit. 1997/98 etwa, als wegen des Klimaphänomens El Niño 40 Prozent weniger Regen fielen als in üblichen Jahren, war der Wasserstand so niedrig, dass die Schiffe einen Teil ihrer Ladung löschen mussten, um nicht auf Grund zu laufen. Und El Niño kommt immer wieder. Reyna Carillo, Lotse an der Schleuse Miraflores, sagt es drastisch: „Ohne genügend Wasser haben wir hier keinen Kanal, sondern das größte Schlammloch der Welt.“

Die Lotsen sorgen sich um die Sicherheit. Schon bei kleineren Schleusen komme es immer wieder zu Unfällen. Mit Riesenschleusen gebe es keinerlei Erfahrungen. Bei Gefahrguttransporten könnte eine Havarie fatal werden: Der Panamakanal führt, was Flora und Fauna angeht, durch eine der weltweit artenreichsten Gegenden.

Andere bezweifeln, dass das Geld reicht. Tomás Drohan zum Beispiel, bis vor kurzem Chefingenieur der Kanalverwaltung. Er glaubt, dass die Erweiterung das größte finanzielle Desaster in der Geschichte Panamas werden wird. Nach den Berechnungen des Finanzministeriums wird das neue Schleusensystem nämlich nur dann rentabel sein, wenn es nicht mehr als die veranschlagten 5,7 Milliarden Dollar kostet. Drohan hat es noch nie erlebt, dass bei einem öffentlichen Bauvorhaben in Panama der Kostenvoranschlag eingehalten worden wäre. „Die hier übliche Korruption wird den Preis weit über die Rentabilitätsgrenze hinaustreiben.“ Präsident Torrijos dagegen befürchtet im Fall einer Ablehnung des Projekts den Bankrott seines Landes. Panama sei nur mit dem Kanal überlebensfähig. Die Wasserstraße, sagt er, „bedeutet für uns so viel wie das Erdöl für Saudi-Arabien“.