nrw-spd : Schröders Schuld
„Schröder-Nostalgie“? Gibt es so etwas wirklich? Bei den US-Demokraten gilt Bill Clinton Jahre nach seiner Amtszeit als Held und Übervater der Oppositionspartei – wohl auch, weil mit George W. Bush ein rechter Bösewicht im Weißen Haus sitzt. Natürlich können Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Ministerpräsident Jürgen Rüttgers nicht so wie der Texaner polarisieren. Aber die Distanz, mit der führende SPD-Politiker über ihren ehemaligen Bundeskanzler und Parteichef sprechen, ist schon seltsam – als wäre Schröder schon vor Jahren bei Neuwahlen untergegangen.
KOMMENTAR VON MARTIN TEIGELER
Unmut über die neuen Nebenjobs des Gazpromis mögen bei der Entfremdung eine Rolle spielen. Auch der nicht nachlassende Groll über die angeblich durch Schröder verursachte NRW-Wahlpleite 2005 hat den Bastakanzler zur Unperson gemacht. Tatsächlich trifft Schröder vor allem eine Schuld: Durch seine hektische Neuwahlentscheidung hat er eine wirkliche Debatte über die Ursachen der NRW-SPD-Krise in ein Zeitloch fallen lassen. Seit dem 22. Mai 2005 hat die Genossenschaft an Rhein und Ruhr noch immer keine Zeit gefunden, über ihre eigene Verantwortung für den Machtverlust gewinnbringend nachzudenken. Mit dem allzu billigen Argument „Schröder war schuld“ wurden Diskussion über die Fehler und Versäumnisse von 39 SPD-Regierungsjahren in NRW abgewürgt.
Schröder war nicht alleinverantwortlich dafür, dass der Widerspruch zwischen wirtschaftlicher Modernisierung und sozialer Gerechtigkeit die SPD weiter in die Krise treibt. Im Gegenteil: Die vom NRW-Spitzengenossen Franz Müntefering mit angeführte Großkoalition in Berlin ist unsozialer als Schröders rot-grüne Koalition. Von der Rente ab 67 über die Gesundheitspolitik bis zur Unternehmenssteuerreform – seit Schröders Ende ist die sozialdemokratische Regierungspraxis an der Seite von Angela Merkel nach rechts gerückt. Darüber sollte mal jemand ein Buch schreiben.