Kein Blumenstrauß für Udo

In Treptow-Köpenick ist die NPD mit drei Sitzen in der BVV vertreten. Auch Chefideologe Udo Voigt ist jetzt Mitglied des Bezirksparlaments. Der Eklat bei der ersten Sitzung blieb aus – aber auch der Protest der Zivilgesellschaft war eher dünn

VON NINA APIN

„Das ist ja wie bei Tokio Hotel hier“, spottet eine junge Frau über den Auflauf vor dem Treptower Rathaus. Auf den Stufen an der Neuen Krugallee gruppieren sich jede Menge Journalisten mit Kameras und ein paar Schaulustige. Polizisten säumen die Straße, nervös behalten sie die Szene im Blick. Im Rathaus versuchen überforderte Mitarbeiter, Kamerateams am Erstürmen des Sitzungssaals zu hindern. „Meine Güte, es ist doch noch fast zwei Stunden hin, bis die kommen!“, ruft einer verzweifelt.

Die drei Herren, auf die alle warten, sind keine Popstars. Sehr beliebt sind sie auch nicht. Udo Voigt, Eckart Bräuniger und Fritz Liebenow sorgen für Aufregung, weil sie der NPD angehören. Und diese erstmals mit drei Sitzen in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Treptow-Köpenick vertreten ist. Rund 6.000 Bürger stimmten am 17. September für die Rechtsextremen. Bei 5,3 Prozent stehen ihnen 3 von 55 Sitzen und ein Büro im Rathaus zu. Dass hier mit Voigt der NPD-Chefideologe und mit Bräuniger ein altgedienter Nazikader mit Verbindungen in die Kameradschaftsszene einziehen, macht einigen im Bezirk zu schaffen.

„Das ist das Schlimmste, was hier seit 1945 passiert ist“, findet Claus Buboltz vom Verein „Die Brücke“, der auf dem Gehweg gegen die Feinde der Demokratie im Rathaus protestiert. „Hier beginnt keine normale Legislaturperiode, sondern ein Trauerspiel“, findet Niels Münzberg von der Grünen Jugend. Der schlanke junge Mann hat sich eine grüne Fahne um die Hüften gebunden – sie zeigt einen Igel, der ein Hakenkreuz zertritt. Eine Dreiviertelstunde vor Beginn der ersten BVV-Sitzung der Wahlperiode kommt der Straßenprotest in Schwung. Unter den wachsamen Augen der Polizisten werden Transparente entrollt und eine kleine Bühne aufgebaut. Ein Liedermacher stimmt „Das Moorsoldatenlied“ an, er begrüßt die etwa 50 Leute, die gekommen sind, Jugendliche, Rentner mit Einkaufstüten, Ver.di-Mitglieder und Antifas. Viele kennt er von der Montagsdemo auf dem Alexanderplatz, wie das Rentnerehepaar aus Köpenick, das stumm die Lippen zum Partisanenlied „Bella ciao“ bewegt. Sie seien enttäuscht über die wenigen Demonstranten, sagt die Frau gerade, als ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert und „Nazis raus!“-Rufe ertönen.

Der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt und seine beiden Parteikameraden bahnen sich mit unbewegter Miene den Weg ins Rathaus. „Alle da, Kameraden?“, fragt Voigt auf der Treppe und sonnt sich in der ungeteilten Aufmerksamkeit der Presse. Die 4 Abgeordneten von WASG und Grauen, ebenfalls neu in der BVV, schlüpfen fast unbehelligt in den holzvertäfelten Saal.

Insgesamt acht Fraktionen nehmen an den Dreiertischen Platz. Mit 19 Sitzen stellt die SPD die Mehrheit, zusammen mit FDP (2 Sitze) und CDU (7 Sitze) bildet sie eine Zählgemeinschaft, die von der Linkspartei (16 Sitze) toleriert wird. Die NPD, die bezeichnenderweise ganz hinten rechts sitzt, wird laut Absprache von allen anderen Abgeordneten ignoriert. Einzig die Presse interessiert sich für die drei kräftigen Herren in den dunklen Anzügen. Udo Voigt sagt in die Kameras, dass er aktiv an der Gestaltung der Bezirkspolitik teilzunehmen gedenke, und spekuliert über die Zukunft von Rot-Rot im Abgeordnetenhaus. „Widerlich, wie alle um den rumschwirren“, kommentiert der Herr von der Adlershofer Zeitung.

Die Aufregung in den Presserängen legt sich schnell. Die knochentrockenen demokratischen Rituale der Tagesordnung vermitteln so etwas wie Normalität: Eröffnungsrede des Alterspräsidenten, Anwesenheitskontrolle, Bestätigung der Tagesordnung, alles wie immer. Nach 10 Minuten sind die drei Rechtsaußen fast vergessen. Sie melden sich nicht zu Wort, studieren eifrig die Geschäftsordnung und lachen, wenn einer der Redner einen Scherz macht. Nur einmal tanzen sie aus der Reihe: Den PDS-Antrag, einen zweiten stellvertretenden Schriftführer für den BVV-Vorstand zu nominieren, lehnen sie gemeinsam mit den Grünen ab. Und werden überstimmt.

Während der endlosen Wahlgänge, in denen Vorsteher, Schriftführer, Stellvertreter und die Bezirksbürgermeisterin gewählt werden, leert sich die überfüllte Zuschauertribüne zusehends. In den Pausen schwatzt die WASG mit den Grauen hinter ihnen, in der SPD gibt es Blumensträuße für die neue Bürgermeisterin Gabriele Schöttler. Mit der NPD redet niemand mehr. Die Presse ist jetzt bei Peter Thuge von den Grauen. Er sagt: „Mein Vater wurde in Bergen-Belsen ermordet.“ Draußen im Foyer gibt es Buletten, Chili con Carne und Bier. Nur noch wenige Jugendliche verfolgen das Geschehen auf dem Boden sitzend auf einer Videoleinwand. In der Abstimmungspause verziehen sich Udo Voigt, Eckart Bräuniger und Fritz Liebenow in eine Ecke zum Rauchen, wie auf dem Pausenhof. „In der ersten Stunde passiert nie was“, sagt der ältere Herr von der Adlershofer Zeitung, der früher Lehrer war. „Erst in der zweiten testen die Schüler, wie weit sie gehen können.“