Silvio Berlusconi bedient gezielt antideutsche Reflexe

ITALIEN Mit wüsten Beleidigungen will der Cavaliere die Stimmung im Europa-Wahlkampf anheizen

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Mit einem Doppelschlag gegen Martin Schulz und dann auch noch gleich gegen „die Deutschen“ überhaupt bringt Silvio Berlusconi Stimmung in den EP-Wahlkampf. Am Samstag legte er sich bei der Vorstellung der Kandidaten seiner Forza Italia (FI) zunächst mit dem Spitzenkandidaten der Sozialisten an: „Schulz hat geringe Sympathien nicht bloß für Berlusconi, sondern für Italien“, behauptete der Chef der italienischen Rechten, der in Kürze seinen Sozialdienst zur Verbüßung der noch ausstehenden Haft antreten wird. Dann legte er nach, erinnerte selbst daran, dass er – ganz freundschaftlich selbstverständlich – Schulz schon im Jahr 2003 als KZ-Kapo geschmäht hatte: „Ich wollte ihn nicht beleidigen, aber es gab eine Riesenaufregung, weil für die Deutschen die Konzentrationslager nie existiert haben.“

In dieser Wendung liegt die Quintessenz des Ausfalls: Berlusconi schlägt den Sack, aber er meint den Esel; ihm geht es weniger um die Euro-Sozialisten als um Merkel-Deutschland. Obwohl seine Forza Italia als Schwesterpartei mit Merkels CDU in der EVP sitzt, ist die Kanzlerin im Wahlkampf der Hauptfeind. Die offizielle Exegese lieferte am Sonntag die Berlusconi-Tageszeitung Il Giornale: „Wir vermuten, dass er unterstreichen wollte, dass wir nicht die Untertanen Merkels und ihrer Vorstellung von Europa sind … Nie wieder auf Knien vor Merkel.“ Dieser Sound prägt den gesamten Forza-Italia-Wahlkampf.

Die Berlusconi-Rechte fordert zwar nicht den Ausstieg aus dem Euro, wohl aber „mehr Italien, weniger Deutschland“ in Europa. Diese Positionierung hat gute Gründe: Während Ministerpräsident Matteo Renzi sich auf dem Popularitätshoch befindet und seine gemäßigt linke Partito Democratico in den Umfragen bei 32 bis 35 Prozent liegt, befindet sich Forza Italia beim Kampf um die Unzufriedenen gegenüber Beppe Grillos Protestliste Movimento 5 Stelle (M5S) klar in der Defensive. M5S fordert ein Referendum über den Verbleib im Euro und liegt dank harter Anti-Parteien-Rhetorik bei 25 Prozent der Stimmen. Berlusconis FI ist auf unter 20 Prozent abgestürzt; deshalb soll eine Kampagne mit populistischen Tönen gegen „die Deutschen“ die Wende bringen.

Die SPD hat angesichts der Beschimpfungen Kanzlerin Angela Merkel zum Eingreifen aufgefordert. Das Schweigen der CDU-Chefin sowie ihres CSU-Kollegen Horst Seehofer sei skandalös: „Die Äußerungen von Silvio Berlusconi sind abstoßend und völlig inakzeptabel“, sagte Generalsekretärin Yasmin Fahimi.