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Archiv-Artikel

Die Eroberung von Flensburg

ZUGEHÖRIGKEIT Eine Ausstellung auf dem Museumsberg Flensburg zeigt, wie es dem NDR nach dem Krieg gelang, norddeutsche Identität zu stiften. Viele Flüchtlinge wären damals lieber dänisch geworden

Und bald wollten die Norddeutschen dann doch keine Dänen werden, sondern Norddeutsche bleiben

Der Kleine ist vielleicht vier, fünf Jahre alt, und er sitzt quietschvergnügt auf einer kleinen Bank und schaut sich ein Video an: Schafe auf einem Deich sind zu sehen, Kutter, die im Hafen liegen, Gewitterwolken über Feldern, dazwischen eingeblendet Malerei. „Bis zum Schwarzen“, sagt der Kleine und meint damit den Moment, wenn kurz ein Schwarzbild auftaucht, bevor die Bildschleife wieder anläuft und wieder die Schafe und die Kutter und die Gewitterstimmung über dem Land zu sehen sind.

„60 Jahre Studio NDR“ nennt sich die kleine Ausstellung im Erdgeschoss des Museums auf dem Flensburger Museumsberg, und der NDR hat sich alle Mühe gegeben, so zu wirken, wie der NDR eben ist. Nett und harmlos. Lieb, und ein wenig sentimental. Dabei ist die Geschichte der Gründung des Flensburger Außenpostens eine interessante und eine durchaus ernste, die beginnt, als mit dem Ende des Krieges Hunderttausende von Flüchtlingen aus Ostpreußen und Schlesien in Schleswig-Holstein anlandeten, Volksgenossen eigentlich, die man nicht haben wollte, nicht hier im Norden.

Stattdessen wollten viele aus der Schleswiger Region Dänen werden wie in Dänemark, da sei es doch viel netter. Doch alles wurde gut, denn der NWDR, aus dem später der WDR und der NDR werden sollten, baute mitten in Flensburg ein Radiostudio und berichtete mit viel Heimatliebe aus allen Ecken des Nordens. Und bald wollten die Norddeutschen dann doch keine Dänen werden, sondern Norddeutsche bleiben und als das ausgestanden war, das Fernsehzeitalter anbrach, wurde Kiel die große Nummer des NDR und nicht mehr Flensburg.

Das ist auf einer Texttafel zu lesen und auch dass es später richtig Ärger gab, als der NDR so viel über Brokdorf berichtete und so links war und es etwas gab, das man heute mit dem NDR kaum noch verbindet: Rebellentum und Querköpfigkeit. Und ein Herr Stoltenberg, damals Chef des Nordens, kündigte sogar den NDR-Staatsvertrag, so sauer war der.

Aber das ist lange her, heute ist der NDR das Beste am Norden und dazu liegt in einer Vitrine ein Uher-Tonbandgerät aus und in einer Ecke steht eine Kamera, wie man sie heute nicht mehr benutzt. Und weil das wohl dann auch den Ausstellungsmachern ein wenig zu wenig schien, hat man Malerei aus der Kunstsammlung des NDR auf den Museumsberg geholt, die nun aushängt: Landschaftsbilder, leicht abstrakt gehalten, aber ohne zu verstören, etwa von Klaus Fußmann oder von Peter Redeker. Auch Horst Janssen darf nicht fehlen und von Günter Grass hängt eine sehr maue Malerei an der Wand, die hier nicht hängen würde, wäre sie nicht von Günter Grass.

Auffällig und bedenkenswert ist eines: Die Malerei und auch das Video mit seinem Schwarzbild ist weitgehend menschenleer, als würde die Landschaft zwischen Nordsee und Ostsee, die der NDR ist, die Anwesenheit von unsereins nicht recht verkraften. Nur einmal ist kurz der Rücken einer Fahrradfahrerin zu sehen und ihr Haar, das leicht im Wind weht. Wahrscheinlich ist es Heike Götz von der „NDR Landpartie“, unterwegs zu neuen, wunderschönen Orten zwischen Eider und Trave, zwischen Brunsbüttel und Flensburg, das damals beinahe dänisch geworden wäre. Aber eben nur beinahe, dem NDR sei Dank.

FRANK KEIL

Bis 23. Januar 2011, Museumsberg, Flensburg