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Archiv-Artikel

NS-Gedenken – ohne Gedanken an die Opfer

GESCHICHTE Heute lädt der Bezirk Mitte zur Einweihung der Erna-Samuel-Straße. Der Holocaust-Überlebende Walter Frankenstein, der den Namen vorgeschlagen hatte, ist nicht eingeladen

Am heutigen Donnerstag um 10 Uhr wird der Bezirksstadtrat von Mitte, Carsten Spallek (CDU), die Erna-Samuel-Straße in Moabit einweihen. Die Namensgeberin, geboren 1895 in Trebbin, wurde 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet. Der Vorschlag, die jüdische Lehrerin mit dem Namen einer Straße zu ehren, stammt von dem Holocaustüberlebenden Walter Frankenstein, der die NS-Verfolgung im Untergrund überlebt hat. Doch weder er noch das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt und das Museum Stille Helden – beide Institutionen erinnern an Juden, die versteckt überlebten – wurden zu der Veranstaltung eingeladen. Der Bezirk hält trotzdem an dem Termin fest. „Der Termin findet so statt“, sagte eine Sprecherin von Baustadtrat Spallek.

Der im schwedischen Stockholm lebende Walter Frankenstein wäre gern zu der Ehrung seiner früheren Lehrerin an der jüdischen Schule Rykestraße gekommen. „Ich bin enorm enttäuscht“, sagte der 89-Jährige. Er habe keine Einladung erhalten und von dem Termin nichts gewusst. „Ich wäre natürlich gekommen, wenn man mich eingeladen hätte“, sagte er.

Enttäuscht, empört

Barbara Schieb von der Gedenkstätte Stille Helden sagte, sie bedauere es sehr, „dass dem letzten noch lebenden Schüler dieser hervorragenden Pädagogin die Möglichkeit genommen wird, der Einweihung beizuwohnen“. Empört zeigte sich auch die Lehrerin Birgit Holland von der Goetheoberschule in Trebbin. Im März hatte Frankenstein dort mit Schülern über die Naziverfolgung diskutiert. Es sei „ein Skandal, denjenigen, der Frau Samuel persönlich kannte, nicht einmal einzuladen“, sagte sie.

„Gedankenlos“ nannte Volker Hobrack von der „Gedenktafel-Kommission“, die Frankensteins Vorschlag vorangetrieben hatte, dass genau derjenige vergessen worden sei, auf den die Ehrung zurückgeht. Er sei vom Verhalten des Bezirks „enttäuscht“.

Dabei wäre ein Termin leicht zu finden gewesen: Im nächsten Monat wird Frankenstein nach Berlin kommen, um dort das Bundesverdienstkreuz für sein Bemühungen um eine Aufarbeitung der Geschichte entgegenzunehmen. Sollte dann erneut an Erna Samuel erinnert werden, wäre er selbstverständlich zur Teilnahme bereit, sagte Frankenstein.

Der Baustadtrat von Mitte will indes keinen Fehler gemacht haben. Die Ehrung würde keineswegs „still und heimlich“ erfolgen, sondern sei dem „üblichen Zeitrahmen gefolgt“, sagte eine Sprecherin. Ob Frankenstein eingeladen worden sei, wüsste sie nicht. KLAUS HILLENBRAND