: Polizist: Bei brutalem Einsatz hatte „jemand Hand im Spiel“
STUTTGART 21 Ausschuss klärt Einflussnahme auf Polizei bei Wasserwerfereinsatz. Jetzt reden Zeugen
STUTTGART taz | Erstmals hat ein Polizist im Untersuchungsausschuss die Vermutung geäußert, dass bei dem massiven Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlossgarten „irgendjemand seine Hand im Spiel“ hatte. „Ich war persönlich überrascht, weil ich dachte, irgendwas hat sich da jetzt verändert“, sagte der Polizeikommissar und Gewerkschaftsfunktionär Thomas Mohr aus Mannheim. Die Polizei sei „von 0 auf 300 hochgefahren“.
Von 0 auf 300 hieß am 30. September: Hundertschaften der Polizei gingen mit Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen überwiegend friedliche Demonstranten vor, darunter zahlreiche Jugendliche. Der Einsatz diente dazu, einen Teil des Schlossgartens abzusperren, in dem später die ersten Bäume für das Bahnprojekt Stuttgart 21 gefällt wurden. Der Untersuchungsausschuss will vor allem eine mögliche politische Einflussnahme auf diese Polizeitaktik klären.
„Es hat keiner gegen uns geschlagen, getreten, noch sind wir beworfen worden“, sagte Mohr. Er schilderte auch, wie die Polizei teilweise auf den Einsatz eingestellt worden war – nämlich so gut wie gar nicht. Erst auf der Autobahn hätten sie Informationen über Probleme im Schlossgarten erhalten. „Und dann waren wir mitten im Geschehen.“ Quasi auf Zuruf hätten die Polizisten erfahren, was zu tun sei.
Dieses Bild bestätigten weitere Demoteilnehmer, die als Zeugen geladen worden waren. „Es war keine Strategie zu erkennen“, sagte der Schriftsteller Wolfgang Schorlau. Mit Vokabeln wie „Panik“, „Albtraum“ oder „traumatische Erfahrung“ schilderten die Zeugen ihre Erlebnisse des Tages. Diese Schilderungen waren ein deutlicher Kontrast zu den Berichten von Stuttgarts Polizeipräsident Siegfried Stumpf, der eine Woche zuvor den Einsatz insgesamt als verhältnismäßig bezeichnet hatte.
„Ich möchte Sie erinnern“, sagte der Stadtdekan Michael Brock, „es ging an diesem Tag ums Aufstellen eines Bauzauns, nicht um die nationale Sicherheit.“ Er selbst habe vor Ort Deeskalationsversuche unternommen. Unter anderem habe er mit Polizeipräsident Stumpf telefoniert und ihn gefragt, ob er wisse, dass 13-Jährige vor dem Wasserwerfer stehen. „Dann nehmen Sie sie doch heraus“, habe Stumpf geantwortet. Brock: „Da hat’s mir die Sprache verschlagen.“ Verständnislos für die Härte der Polizei zeigten sich die meisten Zeugen vor allem deshalb, weil die Proteste zuvor friedlich gewesen seien und sich die Polizei besonnen verhalten habe. Am Freitag könnte Mohrs Vermutung einer Einflussnahme bekräftigt werden. Bereits vergangene Woche hatte ein Protokoll des Staatsministeriums für Aufregung gesorgt. Demnach hat Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) vor dem Einsatz ein „offensives Vorgehen gegen Baumbesetzer“ verlangt. NADINE MICHEL