: Eine Gazelle gegen zwei Dickhäuter
Heute stimmen die französischen Sozialisten über ihren Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2007 ab. Eindeutige Favoritin ist Ségolène Royal. Die Machosprüche ihrer männlichen Konkurrenten kommen bei der Parteibasis nicht an
AUS PARIS RUDOLF BALMER
Die 218.700 Mitglieder der französischen Sozialistischen Partei nominieren heute Abend ihre Kandidatin oder ihren Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen 2007. Wenn die Meinungsforscher Recht behalten, geht es nur noch darum, ob die Favoritin Ségolène Royal schon im ersten Wahlgang siegt. Auf die Frage eines Journalisten nach ihrem Erfolgsrezept hatte Royal zu Jahresbeginn mit einem Bild geantwortet: „Eine Gazelle läuft eben schneller als die Elefanten.“
Mit den Dickhäutern sind die Prominenten der Parteispitze gemeint. Mehrere Vertreter wollten ihre Partei in den Präsidentschaftswahlkampf führen. Sie waren überzeugt, dass der frühzeitig gestarteten „Gazelle“ früher oder später die Puste ausgehen würde. Doch die biegt am Ende der Kampagne der internen Vorausscheidung mit einem Vorsprung in die Zielgerade ein.
Von den ursprünglich sechs Rivalen sind nur noch zwei im Rennen: Der frühere Premierminister Laurent Fabius und Exwirtschaftsminister Dominique Strauss-Kahn („DSK“). Bei den letzten Wahlveranstaltungen wurde der Tonfall polemischer. Ségolène Royal konnte das Ende der „Gazellenjagd“ kaum erwarten. Sie hatte bei den internen Debatten der letzten Wochen viel zu verlieren. Nach Ansicht der Medien hat sie jedoch das Examen bestanden und höchstens einige Punkte eingebüßt.
Bei ihrem letzten Auftritt vor 2.000 begeisterten Anhängern in Paris gab sie sich siegessicher und zahlte ihren männlichen Konkurrenten die Machosprüche heim: „Und wer wird sich um die Kinder kümmern?“, habe Fabius gefragt, obwohl er doch wissen müsste, dass ihre vier Kinder erwachsen seien. Und Strauss-Kahn habe als Kommentar zur ihrem Auftritt in der gemeinsamen Fernsehdebatte über internationale Fragen fallen lassen: „Sie wäre besser zu Hause geblieben, als uns ihre Küchenzettel vorzulesen!“ Das Publikum antwortete mit Buhrufen.
Eigentlich hatten sich drei Bewerber um die Kandidatur redlich bemüht, ihre Partei nach außen hin als geschlossen zu präsentieren. Umso ärgerlicher war für Royal, dass am Wochenende im Internet ein inoffizielles Video eines Auftritts vom Januar auftauchte. Da hatte sie gefordert, dass die Mittelschullehrer nicht nur für ihre 18 Unterrichtsstunden, sondern ein volles Wochenpensum von 35 Stunden in der Schule anwesend sein sollten. Die Lehrer, die 15 bis 20 Prozent der Parteimitglieder ausmachen, waren nicht erfreut. Fabius und DSK frohlockten und Royal musste beschwichtigen.
Keine Wahlempfehlung gab der frühere Premierminister Lionel Jospin ab, der schließlich auf eine Kandidatur verzichtete. Doch in seinem Freundeskreis lautet die Devise: „Es gibt drei Alternativen: Strauss-Kahn, Fabius oder keinen Namen ankreuzen.“ Unklar ist, wie die 68.000 neuen Mitglieder, die in den vergangenen zwölf Monaten der Partei beitraten, stimmen werden. Sind sie alles „Royalisten“ und ein Produkt der „Ségomania“?
Die drei Kandidaten repräsentieren unterschiedliche Konzeptionen der Sozialdemokratie. Ganz links steht Fabius: „Wenn wir gewinnen wollen, müssen wir die gesamte Linke hinter uns sammeln. Das ist nur mit einem linken Programm möglich.“ Er ist für einen starken und zentralisierten Sozialstaat, der maßgeblich in die Wirtschaft interveniert, für eine Erhöhung des Mindestlohns, für die 35-Stunden-Woche und eine strikte Trennung von Staat und Religion. Fabius hatte gegen den EU-Verfassungsvertrag gestimmt und wünscht jetzt eine Neufassung.
„DSK“ vertritt eine „erneuerte Sozialdemokratie“, die mehr auf den sozialen Dialog als die für Frankreich bisher typischen Kraftproben setzt. Er möchte die deutsch-französische Partnerschaft erneuern und sieht in Europa langfristig eine Union, die sich auf den ganzen Mittelmeerraum ausdehnen soll.
Royal plädiert für eine „partizipative Demokratie“ und Dezentralisierung. Mit dem Motto „für eine gerechte Ordnung“ möchte sie Erziehungs- und Sicherheitsprobleme angehen.
Sie scheute sich nicht, die linke Wählerschaft mit Vorschlägen zu schockieren, die man eher von der politischen Rechten erwartet hätte. Sie macht Anleihen bei Tony Blairs New Labour, lässt sich aber auch von außerparteilichen Globalisierungskritikern und Umweltschützern inspirieren. Vielleicht ist es ihre Stärke, dass sie nicht einfach zuzuordnen ist. Das entspricht wohl am ehesten dem Wunsch nach „Neuem“.