David Denk über GONZO i. V. : Maria, Mariaaaah
Die intimen Geständnisse eines Herrenhandtäschchens
Wochenlang hing ich in diesem Laden in Barcelona rum – fragen Sie mich nicht, wo genau: Ich kam in einer Kiste und ging in einer Plastiktüte.
Tagein, tagaus musste ich mich von Touristen befingern lassen, die etwa so gut spanisch sprachen wie Arnold Schwarzenegger in „Terminator“. Ihr Englisch war auch nicht viel besser.
Nur zu gern hätte ich mich mit der süßen Verkäuferin gegen die krebsroten Trekkingsandalisten auf Spanien-Expedition verschwistert. Dass auch sie selbst manchmal solche Dinger an den Füßen hatte – geschenkt! Die Verkäuferin hieß Maria – ich habe keine Namen. Da fängt der Schlamassel schon mal an. Sprechen kann ich dummerweise auch nicht. Ich bin nur eine Umhängetasche, die dazu verdammt ist, stumm und teilnahmslos an ihrem Haken darauf zu warten, dass ihr jemand die Freiheit schenkt. Wie gern hätte ich mich von lovely Maria mit nach Hause nehmen lassen. Doch sie steht leider auf Leder. Und ich bin aus Plastik.
Stattdessen betrat eines Tages im Sommer – wann genau, weiß ich nicht mehr, habe in Gefangenschaft jegliches Zeitgefühl verloren – dieser große, blonde Typ mit der dämlichen Sonnenbrille und dem debilen Grinsen das Geschäft. Dummerweise gefiel ich ihm. Ich versuchte, mich unauffällig zu verhalten, doch um zu erblassen, bin ich wohl zu bunt: Blautöne, gelb, weiß und orange. Zum ersten Mal in meinem jungen Leben (produziert wurde ich im März) habe ich mir gewünscht, hässlicher zu sein.
Es half alles nichts. Ich hatte schon viele Taschen kommen und gehen sehen. Plötzlich lag ich selber an der Kasse. Maria nahm mich in ihre zarten Hände – und steckte mich in eine P-L-A-S-T-I-K-T-Ü-T-E!!! Der Typ war sogar noch dämlicher, als er aussah. Er nahm mir nicht nur meine Maria, sondern auch meine Würde. Ich bin eine Umhängetasche – holt mich hier raus!
Seit dem Sommer wohne ich jetzt also in Berlin – gute Stadt, allerdings kein Vergleich zu Barcelona. Berlin liegt eben nicht nur kurz vor Polen, sondern auch hinterm Mond – zumindest in modischer Hinsicht. Auf den von lauter Heckenpennern bevölkerten Straßen dieser Stadt bin ich eine Ausnahmeerscheinung. Dieser Umstand macht mir nichts aus – hätte ich gesagt, bevor mir der Grund klar geworden ist: Homophobie. Als „schwules Herrenhandtäschchen“ muss ich mich immer wieder beschimpfen lassen – von den gleichen Wichsern, die später ihre Portemonnaies, Schlüssel, Fahrradlampen in mir deponieren wollen. Am liebsten würde ich alles wieder ausspucken. Doch das wäre meinem Herrchen gegenüber unfair – erstens sind das seine Freunde (auch wenn ich mich frage: warum?!) und zweitens behandelt er mich besser, als ich es ihm zugetraut hätte.
Er hat mich in sein Leben integriert. Wenn er ausgeht, bin ich dabei und passe auf seine Wertsachen auf – sein Handy kann ich zwar nicht ab, doch ich bin Profi und lasse mir nichts anmerken. Wenn er zur Arbeit geht, nimmt er meistens seine größere Umhängetasche mit. Das nehme ich ihm nicht übel, weil seine ganzen Zeitungen und erst recht sein Laptop einfach ’ne Nummer zu groß für mich sind. Und außerdem ist es in seinem Büro stinklangweilig. In seiner Wohnung leider auch. Eigentlich auch in seinem Leben.
Deswegen spekuliere ich darauf, dass er mich irgendwann irgendwo vergisst – endlich frei: Hasta la vista, Baby!
Fotohinweis: David Denk GONZO i. V. Fragen zu Wichsern? kolumne@taz.de Morgen: Adrienne Woltersdorf ist OVERSEAS