: Pseudosozial
betr.: „Eine Revolution im Denken und Handeln“
Die Debatten erwecken den Eindruck, als handele es sich bei den BezieherInnen von ALG II um eine homogene Schicht gering qualifizierter und unmotivierter Langzeitarbeitsloser. Die Realität, mit der ich als Angestellte einer „Arbeitsgemeinschaft“ für die Beratung und Vermittlung täglich zu tun habe, weist dagegen eine hohe Differenzierung unter den AntragstellerInnen aus:
1. Menschen, die durch einen persönlichen und beruflichen (mitunter gekoppelt) Schicksalsschlag vorübergehend Unterstützung zum Lebensunterhalt beantragen müssen. 2. Alleinerziehende (überwiegend Frauen) mit schulpflichtigen Kindern ohne Möglichkeit, existenzsichernd zu arbeiten. 3. Immer mehr ArbeitnehmerInnen, die Dumpinggehälter/Löhne erhalten (dazu zählt die grassierende Vermehrung der 400-Euro-Erwerbsverhältnisse). 4. Nebenerwerbsselbständige, welche die nach Kommunen unterschiedlich angebotenen Förderinstrumente nutzen, um eine Optimierung ihrer Einkommensverhältnisse zu erzielen. 5. Menschen, die im „gemeinnützigen“ und zusätzlichen Bereich zwischen 1 Euro bis 1,43 Euro die Stunde tätig sind. 6. So genannte Schwarzarbeiter (überwiegend handwerklich versierte, von Kinderbetreuung nicht betroffene Männer).
All diesen Personen pauschal zu unterstellen, sie wären überfordert, von heute auf morgen ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, bezeugt eine ausgesprochene Ignoranz gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen.
Mit Vereinfachungen und Verunglimpfungen ist es also nicht getan. Stattdessen müssen wir als ArbeitgeberInnen ebenso wie als VerbraucherInnen fragen, wer in diesem Wirtschaftssystem von „Hartz IV“ bzw. einem Grundeinkommen profitiert. Wenn wir diese Fragen ehrlich und konsequent stellen, erübrigen sich pseudosoziale Debatten um Transferleistungen welchen Namens auch immer.
RENATE FIEDLER, Bremen