: Unternehmer aus der Not
In Migranten steckt ein unternehmerisches Potenzial, das längst nicht ausgeschöpft ist. Sie brauchen spezielle Beratungen. Viele machen sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbständig. Dabei schaffen sie vermehrt Jobs – auch für Deutsche
VON GERNOT KNÖDLER
Nur ein kleiner Teil der Existenzgründer in Norddeutschland hat einen Migrationshintergrund. Die Arbeitsagenturen, Kammern und Ministerien erkennen aber zunehmend das Potenzial, das in dieser Bevölkerungsgruppe steckt, denn in den Heimatländern dieser Menschen ist die Selbstständigenquote oft viel höher als in Deutschland. Mit Beratungs- und Hilfsangeboten, die auf die besonderen Probleme dieser Gründer eingehen, versuchen verschiedene Institutionen, den Migranten auf die eigenen Beine zu helfen.
Noch sind die Zahlen klein: Von den rund 14.000 Unternehmen, die Arbeitslose in diesem Jahr in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg gegründet haben, wurden nur 1.200 von Migranten oder deren Nachfahren angemeldet. Laut Regionaldirektion Nord der Arbeitsagentur kam die Hälfte der eingewanderten Gründer allein aus Hamburg. Trotzdem liegt auch hier der Anteil der von der Arbeitsagentur Geförderten mit 13 Prozent niedriger als ihr Bevölkerungsanteil von rund 15 Prozent.
Doch die Anzahl der von Migranten geführten Unternehmen wächst offenbar. Kazim Abaci vom Hamburger Verein „Unternehmer ohne Grenzen“ schätzt ihre Zahl für Anfang der 90er Jahre auf 150.000. Bis zur Jahrtausendwende habe sich die Zahl auf 280.000 fast verdoppelt. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau rechnete für 2003 nur mit 260.000 Unternehmen. Allerdings gründeten Ausländer häufiger ein Unternehmen als Deutsche. Die „Gründungsdynamik“ unter Migranten habe in jüngerer Zeit stark zugenommen.
Für die Gründer sei häufig „die Not der Vater des Gedankens“, sagt Susanne Dorn von der Arbeitsgemeinschaft türkischer Unternehmer und Existenzgründer (ATU) in der Handelskammer Hamburg. Migranten sind weit häufiger Arbeitslos als Deutsche. Die ATU berät Gründungswillige in Fragen der Qualifikation, der Finanzierung und des Rechts. Sie bietet Fortbildungen an und vermittelt Kontakte.
Das größte Problem für ihre Klientel sei, dass deren ausländische Qualifikationen hierzulande oft nicht anerkannt seien, sagt Dorn. Dazu komme die Bürokratie, die Migranten aus ihren Heimatländern nicht in dieser Weise gewohnt seien. „Migranten müssen besonders angesprochen werden“, vermutet sie.
Noch größere Schwierigkeiten als der Durchschnitt des deutschen Mittelstandes hätten eingewanderte Unternehmer mit der Finanzierung ihrer Projekte. Eingebettet in das Norddeutsche Netzwerk zur beruflichen Integration von Migrantinnen und Migranten (Nobi) hat die ATU eine Kreditkampagne ins Leben gerufen. Die Mitarbeiter des von der EU geförderten Projekts antichambrieren bei den Kreditinstituten und sie versuchen die Gründer direkt mit den Bankern zusammen zu bringen.
„In der Praxis machen Beratungsstellen für existenzgründungswillige Migranten die Erfahrung, das Banken Gründungsvorhaben in bestimmten Branchen oder Quartieren zunehmend pauschal ablehnen“, heißt es in einer Selbstdarstellung der Kampagne. „Gründungswillige, die über das Arbeitsamt kommen, werden von den Banken nicht mehr als seriös angesehen.“
Die Bundesregierung hat zwar die Ich-AG abgeschafft. Für den, der sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbständig machen will, gibt es seit dem 1. August jedoch einen Gründungszuschuss (siehe Kasten). Zudem bietet die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) kleine Kredite an. Davon profitierten ausländische Gründer besonders, weil sie häufig „mit sehr kleinen Beträgen“ an den Start gingen.
Die KfW verweist darauf, dass Migranten beim Start in die Selbständigkeit mit durchschnittlich fünf Arbeitsplätzen etwa doppelt so viele Jobs schaffen wie deutsche Gründer. Ausländische Unternehmer stellten nicht mehr nur Familienmitglieder und Landsleute sondern vermehrt auch deutsche Arbeitskräfte ein. Allerdings werden Unternehmen von Einwanderern häufiger insolvent als deutsche, wie Abaci einräumt. Dazu trage bei, dass die Unternehmen oft nicht modern organisiert und daher wenig produktiv seien. Häufig hätten sie sich wenig attraktive Nischen der Wirtschaft gesucht, aus denen sich deutsche Betriebe längst zurück gezogen hätten. Die Folge seien schlechte Arbeitsbedingungen bis hin zur Selbstausbeutung. „In Extremfällen finden sich bei den beliebten türkischen Imbissen Wochenarbeitszeiten von 90 Stunden bei einem Monatseinkommen von 500 Euro“, schreibt Abaci in einem Beitrag für den Verband deutscher Gründungsinitiativen.
Kai Koslick vom Gründerservice im Technologie-Centrum Hannover verweist auf die Stärken der Migranten: Ihre Familien und ihre Netzwerke verschafften ihnen Zugang zu großen Ressourcen. Außerdem brächten sie Erfahrungen aus zwei Kulturen mit. „Wichtig ist, dass sie die deutsche Struktur kennen lernen“, findet Koslick.