: Euphorische Ergebenheit
Kunst wird Karneval, es lebe die Verwandlung! In einem Videozyklus in der daad-Galerie stillt die Künstlerin Katarzyna Korzyra ihren Hunger nach Bewunderung ohne Reue
Manche Menschen träumen vom großen Geld, von der Rente mit fünfundvierzig oder der Festanstellung – andere schlicht von einem warmen Schlafplatz. Die polnische Videokünstlerin Katarzyna Kozyra wünschte sich nichts sehnlicher, als Operndiva zu werden. Als sie 2003 ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Berlin erhielt, nutzte sie es, um zunächst einmal professionellen Gesangsunterricht bei einem „Maestro“ zu nehmen. Wie weit sie sich, nach weiterem Unterricht in weiblichem Auftreten und tänzerischer Grazie, ihrem Ziel inzwischen genähert hat, lässt sich nun in einer Ausstellung in der daadgalerie eruieren.
Herausgekommen sind dreizehn Performances aus den vergangenen drei Jahren, die in Form eines Videozyklus in der retrospektiv ausgerichteten Schau unter dem Titel „Nur in der Kunst werden Träume wahr“ zu sehen sind. Die jüngste Arbeit zeigt, groß an die Galeriewand projiziert, eine Art „Making-of“ und Synthese der vorherigen Werke. Die 1963 geborene Künstlerin zeigt sich als karnevalistisch verspieltes Kind in einer Welt der glitzernden Bühnen- und Filmwelt: als singendes Schneewittchen, begleitet von Zwergen und der bösen Königin alias dem Transvestiten Gloria Viagra, als dessen Kunstzwilling Kozyra in einem anderen Teil der Arbeit auftritt. Sie wird zum androgynen Cheerleader, zum Kastraten, zur alternden Diva. Gemeinsam ist allen Bildern, dass die Künstlerin den Körper als Ort der – nicht nur geschlechtlichen – Rollenzuschreibung inszeniert.
Katarzyna Kozyra schlüpft scheinbar mühelos in die verschiedenen Outfits und Rollen und erweist sich dabei als ungemein wandlungsfähig. Sie hantiert mit allerlei künstlichen Häuten und Geschlechtsteilen, thematisiert dabei aber immer auch die mediale Vorprägung, indem sie auf Märchen-, Opern-, Literatur-, Film- oder Musikvideostoffe zurückgreift und deren Ästhetiken zugleich ironisch bricht.
Ihre Arbeit schließt so an die medialen Reflexionen an, wie sie seit Nam June Paiks „Video-Buddha“ (1974), der seinem Spiegelbild im Fernseher gegenübersaß, immer weiter getrieben werden. Im Hamburger Bahnhof ist in der Ausstellung „Jenseits des Kinos/Jenseits des Museums“ derzeit Tony Ourslers „Criminal Eye“ (1995) zu sehen, die Videoaufnahme eines Auges, auf dessen Netzhaut sich flackernd die ständig wechselnden Fernsehbilder spiegeln. Auch bei Kozyra ist jedes Bild schon vorgeformt durch Ketten von anderen, medialen Bildern, die sich auf der Netzhaut unserer Erinnerung eingebrannt haben.
So greift sie beispielsweise die Ästhetik amerikanischer Teenagerkomödien auf, wenn sie als rothaariger „Cheerleader“ durch eine Umkleidekabine von Sportlern tanzt. Denselben Männern verlangt sie in der Rolle der alternden Diva mit der Hängebusengummihaut militärischen Gehorsam ab. Und sie rührt sie zu euphorischer Ergebenheit, wenn sie anschließend als zarter Jüngling durch die Gruppe hindurchwandert. Diese Verwandlungskünste erinnern an die mythische Figur des blinden Sehers Teiresias aus Ovids Metamorphosen, der sein Geschlecht mehrfach wechselte und anschließend behauptete, dass Frauen beim Geschlechtsverkehr mehr Vergnügen empfänden als Männer. Bei T.S. Elliott wiederum erscheint Teiresias als alte Frau.
In dem Video „Il Castrato“ lässt sich Kozyra als singender Jüngling auf der Opernbühne „kastrieren“. Lange ruht die Kamera auf den Gesichtern der Zuschauer und verschiebt damit den Fokus von der Handelnden auf die orgiastische Wirkung des Betrachtens.
Die ausgestellten Etappen des Verwandlungsprojekts weisen viele visuelle Verschränkungen auf. Dadurch verschiebt sich der Performancecharakter in Richtung Videoinstallation. Die Filme sind keine reinen Dokumentationen, sondern eigenständige, durch Schnitt und Montage gestaltete Werke. Der Diventraum der wandlungsfähigen Künstlerin kann folglich tatsächlich einzig in der Kunst ausgelebt werden und wird allein in den Videos wirklich. CLAUDIA WENTE
daadgalerie, Zimmerstr. 90/91, Mo.–Sa. 11–18 Uhr, bis 6. Januar 2007