: Bio boomt, Erzeuger fehlen
Der Markt für Bio-Nahrungsmittel wächst wie kaum ein anderer. Trotzdem ist es für hiesige Landwirte unattraktiv, auf Bio umzustellen. Die Produkte kommen deswegen immer mehr aus dem Ausland
von Kai Schöneberg
Für Paul Söbbeke ist alles klar: „Der Trend geht zu Billig-Bio aus der Dritten Welt, wir machen weiter Premium-Bio“, sagt der Chef der Molkerei mit den Joghurts ohne Geschmackszusätze. In den vergangenen Jahren hat Söbbeke Zuwachsraten von zehn bis 20 Prozent eingefahren – und nicht nur er.
Der Markt für ökologische Nahrungsmittel boomt, aber dass sich die „Politik nun aus ihrer Verantwortung zurückzieht“, verwundert Söbbecke. Weil immer mehr Einzelhändler und Discounter auf Bio setzen, wuchsen die Umsätze im vergangenen Jahr um satte 16 Prozent auf 4,5 Milliarden Euro. Aber es wird immer seltener hierzulande produziert, weil schlicht die Kapazitäten für die Bio-Produktion fehlen. „Der Handel wird bald gezwungen sein, sich im Ausland mit Ware zu versorgen“, sagt Michael Radau, Vorstand der Superbiomarkt AG, die zwölf Läden in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen betreibt.
Positiv klangen dagegen die Zahlen, die Niedersachsens Landwirtschaftsminister Hans-Heinrich Ehlen (CDU) auf einer Tagung zu Perspektiven von Bioprodukten in Hannover vor 140 Experten mitteilte: Danach hat sich die ökologisch bewirtschaftete Fläche im Land in den vergangenen Jahren auf 65.000 Hektar verdoppelt, die Zahl der Bio-Bäckereien, -Fleischereien oder -Höfe schnellte im gleichen Zeitraum von 848 auf 1.191 in die Höhe. In ganz Deutschland arbeiten 200.000 Menschen an Bio. Doch bald könnte dem Markt die Luft ausgehen.
„Das Agrarland Nummer Eins sollte in den Wachstumsbereich Nummer eins investieren“, mahnte Harald Gabriel von der Landesvereinigung Ökologischer Landbau. Stattdessen hat Ehlen die Umstellungsförderung für Bauern von 285 auf 137 Euro pro Hektar im kommenden Jahr gesenkt. In Mecklenburg-Vorpommern erhalten Landwirte inzwischen gar keinen finanziellen Anreiz mehr, auf Bio umzustellen, Nordrhein-Westfalen gibt dagegen 262 Euro pro Hektar. „Es macht doch keinen Sinn, einen boomenden Markt zu stützen, die Probleme liegen in der Vermarktung“, sagte ein Sprecher von Landwirtschaftsminister Ehlen.
Vor einem “Markt ohne Erzeuger“ warnte Markus Rippin von der Zentralen Markt- und Preisberichtsstelle der Agrarwirtschaft (ZMP) in Bonn. Lukrativer ist da für viele die Umstellung auf die Energiepflanzen. Hier wird noch kräftig gefördert. Viele Bauern haben zudem den Knick nach dem Bio-Hype in Folge von BSE erlebt – und sind deshalb doppelt vorsichtig. Zudem purzeln gerade durch den Einstieg von Discountern die Preise. Zwar ist inzwischen fast jede dritte in Deutschland verzehrte Möhre in biologisch einwandfreiem Boden gewachsen. Aber nur deshalb, weil Aldi gar nichts anderes mehr verkauft.
Von einem “langfristigen Trend“ spricht Achim Spiller, Professor für Lebensmittelmarketing von der Uni Göttingen. „Das Birkenstock-Image ist kaum noch relevant.“ Vielmehr greifen heute die „Lohas“ zu, „Modern Performer“, die einen „Lifestyle of Health and Sustainability“ pflegen, also gesund und nachhaltig leben wollen. Etwa 40 Prozent der Kosumenten kauften inzwischen regelmäßig, sagt Spiller. 75 Prozent der Öko-Konsumenten hätten das Abitur, es sei ein „sehr anspruchsvolles und lukratives Publikum“.
Selbst Edeka drängt gerade auf den Markt. Seit wenigen Wochen hat die Einkaufsgenossenschaft 1.100 Bio-Artikel im Sortiment. „Wir wollten dadurch einen Big Bang erzeugen“, sagt Horst Reinking, Prokurist bei Edeka Minden. Bio passe zum Edeka-Slogan „Wir lieben Lebensmittel“. Bei Obst hat sich durch den Bio-Knall bei Edeka der Umsatz inzwischen von drei auf acht Prozent im Vergleich zum konventionellen Bereich erhöht. Aber vor allem bei Fleisch sieht Reinking „große Probleme“, überhaupt an Ware von regionalen Fleischern zu kommen. „Wenn der Rohstoff zur Verfügung stehen würde“, sagt der Edeka-Mann, „kann ich mir in wenigen Jahren einen Gesamtanteil von Bio-Produkten an unserem Sortiment in Höhe von acht bis zehn Prozent vorstellen.“