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STOIBERS STURZ IST VERSCHOBEN – DA DIE NACHFOLGER IHN NOCH BRAUCHENUntergang einer Volkspartei

Ganz so schnell und umstandslos, wie es sich Anhänger und Gegner der CSU zuletzt vorgestellt haben, wird die Partei ihren Vorsitzenden offenbar nicht los. Man müsse Edmund Stoiber jetzt „Zeit geben“, sagt der Chef der Landtagsfraktion. Das klingt nach Sozialpädagogik – und verfehlt doch den Kern der Sache. Nicht um die Person Stoibers geht es in diesen Tagen, sondern um den Untergang der vielleicht letzten Volkspartei in der Bundesrepublik.

SPD und CDU haben schon bitter erfahren müssen, dass im Zeitalter von Individualisierung und zerfallenden Sozialmilieus die Bindungskraft der Großparteien nachgelassen hat. Wahlergebnisse jenseits der 40 Prozent sind nur noch selten möglich, in Sachsen etwa muss selbst die vermeintlich große Koalition schon um ihre Mehrheitsfähigkeit bangen. In Bayern vollzieht sich dieser Prozess angesichts wirtschaftlichen Wohlstands und kultureller Bindungskräfte langsamer als andernorts, aber er vollzieht sich am Ende eben doch. Der Zustand der Nach-Stoiber-CSU, der sich durch den Kreuther Türspalt ein paar Tage lang besichtigen ließ, legt davon ein beredtes Zeugnis ab. Da streiten Wirtschaftsliberale mit Sozialkonservativen, Modernisierer mit Traditionalisten, Gewinner des gesellschaftlichen Wandels mit Verlierern.

Wie wenig all jene, die gerne Stoibers Nachfolge anträten, diese Kräfte integrieren können – das zeigte sich exemplarisch bei der gescheiterten Freigabe des Ladenschlusses Ende vorigen Jahres. Damals musste Landtags-Fraktionschef Joachim Herrmann hilflos zuschauen, wie sich seine eigene Fraktion mit 51 gegen 51 Stimmen selbst blockierte.

Jetzt starren alle auf den Ministerpräsidenten, der seit seinem Berlin-Rückzug vor anderthalb Jahren auf die Rolle des Gescheiterten festgelegt ist. Und doch fehlt den Politikern der nachfolgenden Generation die Entschlossenheit, weil sie sich in Wahrheit ängstigen vor den Zumutungen der neuen Zeit: vor einem Ende der bayerischen Einheitspartei. Sie werfen Stoiber vor, sich gegen die Wirklichkeit zu sperren – und sind insgeheim froh, dass sie ihn noch als Schutzschild zwischen sich und dieser neuen Wirklichkeit haben.

RALPH BOLLMANN

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