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Archiv-Artikel

Blind auf der Jagd nach Liebe

Vier Mozart-Akte in Idealkonkurrenz zu Salzburg und Amsterdam: Intendant Klaus Weise inszeniert einen neuen „Figaro“ an der Bonner Oper

Susanna bewahrt als einzige klaren Kopf und saubere Wäsche im erotisch-sexuellen Wirrwarr der Figaro-Turbulenzen.

VON FRIEDER REININGHAUS

Die Mobilität in der Kultur- und Freizeitgesellschaft, die heutigen medialen Möglichkeiten und ein womöglich noch halbwegs intaktes Kurzzeitgedächtnis bringen es mit sich, dass bei Opernproduktionen weitreichende Vergleichsmöglichkeiten gegeben sind. Wenn der Bonner Intendant Klaus Weise zum Auftakt des Opernjahres 2007 einen neuen „Figaro“ anberaumt, ist ihm bewusst, dass er nicht nur „vor Ort“ tätig wird, sondern sich in Idealkonkurrenz begibt zu so herausragenden – wenn auch nicht unbedingt gelungenen – Produktionen wie der Salzburger von Nikolaus Harnoncourt und Claus Guth (in der Bürgerwelt Sigmund Freuds) oder die Amsterdamer von Ingo Metzmacher und Jossi Wiener/Sergio Morabito (im Autosalon Almaviva der 1960er Jahre).

Musikalisch konnte die Bonner Premiere in bemerkenswerter Weise punkten. Erich Wächter animiert das Beethoven Orchester Bonn zu einer zügigen und präzisen Interpretation. Gegenüber den Vergleichsprobanden fiel sie nicht wesentlich ab, auch wenn die Sänger überwiegend aus einem anderen Preissegment stammen als Anna Netrebko, Christine Schäfer, Bo Skovhus oder Luca Pisaroni. Martin Tzonev schlägt sich in der Titelpartie und in der männlichen Rivalität mit dem souverän dominierenden Grafen (Aris Argiris) mehr als wacker – szenisch akzentuiert er durchaus stimmig den Domestiken, Argiris aber einen Machtmenschen, der vielleicht nicht zufällig entfernt an den Opern-Mongolen Tamerlan (Timur-i Läng) erinnert. Im Vergleich zur Amsterdamer da-Ponte-Trilogie mit dem Nederlands Kammerorkest ist der musikalischen Gesamtleistung in Bonn sogar der Vorrang einzuräumen.

Insbesondere Anna Virovlansky sorgte mit ihrer nicht allzu starken, aber klaren, bestens Mozart geeigneten Stimme und Körpereinsatz für Lichtblicke: Wie diese Susanna sich gelegentlich naiv gibt und dann wieder schnippisch, dienstfertig und energisch, als einzige klaren Kopf und saubere Wäsche bewahrt im erotisch-sexuellen Wirrwarr der Figaro-Turbulenzen, bleibt bewunderungswürdig. Sie ist der Trumpf dieser Produktion – und es ist klar, warum Graf Almaviva diesem Glückskind des positiv gestimmten Lebens so ungeniert den Vorrang gegenüber der Gattin Rosina (Irina Oknina) einräumt; gleichfalls, wie fragil das Glück des Sevilla-Friseurs sein dürfte.

Zur munter sprudelnden Ouverture lässt Klaus Weise das singende Personal insgesamt als moderne Party-Gesellschaft durch die seitwärts gedrehten Requisiten in die Welt des Rokoko treten, während Susanna und Figaro Champagner servieren. Riesengroß stehen neben der Tür, vor der zunächst gespielt wird, die Putto-Bilder, Zitate aus einem versatzstückhaft herbeibeschworenen 18. Jahrhundert. Ein weiter Park als Ausblick im Hintergrund. Und über dem Geschehen ein Fries mit nachhaltiger Erinnerung an die Ästhetik der Mozart-Kugel. Später ein überbordendes Stillleben, das auf die Genusssucht der Josephinischen Ära verweist. Doch zum vierten Akt, der die Blindheit der auf Jagd nach Liebe und erotischer Unterhaltung erpichten Gesellschaft von da Ponte und Mozart konsequent vorführt und die große Desillusion ins Werk setzt, versagt sich Regisseur Klaus Weise den fälligen Bruch: Die Putto-Figuren fügen sich zu Liebesgrotten im Dreiviertel-Dunkel – und, welch Opernwunder! – alle kommen aus den Beschädigungen des promiskuitiven Treibens ungestraft davon.

Weise hat eine konsensfähige Inszenierung für das konservative Besucher-Milieu entwickelt und den Stachel, den er seiner vorangegangenen „Don Giovanni“-Inszenierung einpflanzte, nicht aktiviert. Er belässt das singende Personal diesmal in der inkonsistenten Idylle. Den bösen und am Ende fatal wienerisch-gutmütigen Witz von Lorenzo da Ponte verfehlt Weise um die tausend Kilometer und 220 Jahre, die zwischen dem Ort beziehungsweise der Zeit der Uraufführung und dem heutigen Bonn liegen.

Das Resultat lässt sich unterm Aspekt der örtlichen Bedürfnisse betrachten – in diesem Kontext stellt „Figaro“ ein fast uneingeschränktes Bonner Erfolgserlebnis dar. Mit höherem Recht stellt sich die Frage, wo sich diese Produktion im überregionalen Vergleich verortet. Es liegt nicht so lang zurück, dass die Bonner Oper eines der ersten Häuser der nördlichen Hemisphäre werden, wenigstens mit den Staatstheatern der einflussreichen Bundesländer konkurrieren soll. Angesichts des Verlustes anderer Funktionen der Stadt und des in den nördlich benachbarten Großstädten so radikal abgesenkten Theaterniveaus wäre ja sogar neuerlich darüber zu diskutieren, ob ein solcher weitergehender künstlerischer Anspruch des Bonner Musiktheaters nicht weit sinnvoller wäre als die Planung eines Beethoven-Festspielhauses am Rhein.

Angesichts kulturstrategischer Erwägungen wäre von der Neuproduktion einer der bedeutendsten Mozart-Opern in unmittelbar zeitlicher Nähe zu den Jubiläums-Anstrengungen eine kräftige, eigenständige und mit den (Un-)Tiefen da Pontes und Mozarts kritisch zu Werke gehende Interpretation zu erwarten gewesen. Diese Erwartung ist bitter enttäuscht worden.

31. Januar, 19:30 UhrInfos: 0228-778008