Biber beißen sich durch

An einem Spandauer Teich lebt die kleine Gemeinde der Berliner Biber – gerade mal zwei Dutzend. Ihre ärgsten Feinde: Autofahrer. Umweltschützer Manfred Krauß kämpft für das Überleben der Nager

„Keiner hätte gedacht, dass sich der Biber in der Stadt zurechtfindet“

VON KONRAD LITSCHKO

So sieht sie also aus, die wichtigste Heimstätte der winzigen Berliner Biber-Kolonie: ein Teich umzingelt von Laubenpiepern, in seiner Mitte eine dezente Insel, flach abfallendes Ufer mit Bäumen, die vereinzelt ihre Äste ins Wasser hängen lassen. Ein Schwan zieht gelassen seine Kreise. Direkt daneben wird die Ruhe empfindlich gestört: Dort verläuft die Spandauer Rhenaniastraße. Auto um Auto zischt um die Ecke. Und am Himmel donnern die Passagiermaschinen vom Tegeler Flughafen vorbei.

Hier, rund um den Rohrbruchteich im Spandauer Ortsteil Haselhorst, hat sich die äußerst überschaubare Gruppe der hauptstädtischen Biber niedergelassen. Gerade mal 25 Exemplare haben ihr Zuhause in Berlin, schätzt der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Ihr ärgster Feind: die Autofahrer auf der Straße neben dem Biber-Teich. Sieben Artgenossen wurden seit 1999 Jahren von Fahrzeugen erfasst. Der letzte erst vor wenigen Tagen.

Das schmerzt vor allem Manfred Krauß: Der 59-Jährige ist der Biber-Experte des BUND. Dass ihm Tier um Tier quasi vor der Nase überrollt wird, dabei will er nicht weiter zusehen. Krauß fordert nun die Sperrung der Rhenaniastraße. „Diese Straße ist überflüssig wie ein Kropf“, meckert er. Obwohl: So richtig zetern kann er eigentlich nicht. Krauß ist mehr der Typ „netter, bedächtiger Onkel“. Hände in den Parkataschen, dicker Schal, robuste Stiefel, randlose Brille, weißer Schopf. Der Mann aus Charlottenburg spricht gänzlich unaufgeregt, während er durch den Matsch am Rohrbruchteich stapft. Er zeigt die Burg, die sich der unlängst überfahrene Biber auf der Insel im Teich gebaut hatte, und er weist auf die angeknabberten Äste und Baumstämme hin. Nur wenn ihm eine Frage gar zu dümmlich daherkommt, hält er kurz an, legt die Stirn in Falten und fragt: „Wozu Berlin Biber braucht? Wozu brauchen wir überhaupt Bäume?“

Vier Burgen haben sich die Nager, die bis zu 1,40 Meter lang und 35 Kilo schwer werden können, in Spandau zwischen dem Tegeler See und dem Berliner Teil der Oberhavel errichtet. Seit dem vergangenen Sommer gibt es auch ein Pärchen im Spandauer Tiefwerder und einen Alleingänger am Köpenicker Müggelsee. Dennoch: Ihre Zahl bleibt gering. Besonders im Vergleich zu dem Gesamtbestand von 14.000 Bibern in Deutschland. Im Nachbarland Brandenburg sind es immerhin 1.700 Tiere.

„Die Frage ist nicht, warum es hier nur so wenige gibt. Sondern, warum es sie überhaupt schon wieder gibt“, betont Experte Krauß. Erst 1994 wurden die Biber wieder in Berlin heimisch. In den Jahrzehnten davor galt der Wasserbewohner in Mitteleuropa als so gut wie ausgerottet. Sein Lebensraum war gerodet worden, sein Fell ließ sich teuer verkaufen. Nur an der Elbe konnte sich ein Restbestand halten. Von dort zogen die Biber, nachdem sie als schützenswerte Art anerkannt worden waren, wieder gen Süden – und über die brandenburgische Havel schließlich auch in die Hauptstadt. „Keiner hätte gedacht, dass sich der Biber in den städtischen Verhältnissen zurechtfindet. Aber er hat sich hier wieder etabliert.“

Inzwischen habe man Fraßspuren bis zum Kanzleramt gefunden, berichtet der Umweltschützer sichtlich zufrieden. Nicht dass sich die Biber im Stadtinnern ansiedeln würden. Aber auf nächtliche Exkursionen ließen sie sich schon ein. „Das Problem sind die vielen Schleusen“, so der Biber-Experte. „Wenn man da welche beseitigen oder zumindest Fischtreppen installieren würde, könnte sich auch der Biber leichter ausbreiten.“

Täglich ist jemand aus der „Biber“-AG des BUND unterwegs an den Berliner Gewässern, hält Ausschau nach Tierspuren, kartiert Burgen und Nahrungsgebiete. Finden sich an einer neuen Stelle Fällungen, wird auch nachts auf Pirsch gegangen, um den möglichen Neuankömmling zu erspähen. „Das ist faszinierend, wie sich die Tiere in dieser eigentlich unwirtlichen Umgebung zurechtfinden“, schwärmt Krauß. Seit zwei Jahren ist er beim Biber-Team dabei.

Die Frage nach dem Faible für die Natur stellt sich für ihn nicht. „Das ist selbstverständlich, es war immer da.“ Ein Blick zurück macht’s verständlich: aufgewachsen auf einem pfälzischen Bauernhof, Studium der Biologie, langjähriger freischaffender Biologe und Gutachter in Berlin. Krauß schrieb Arbeiten zum Röhrrichtrückgang und kämpfte gegen den Ausbau der Havel. Auto? Handy? Fehlanzeige. Stattdessen leitet er beim BUND das „Flussbüro“. „Für mich macht die lebendige Natur auch ein Stück Qualität in der Stadt aus. Wenn ich im Frühling den ersten Mauersegler singen höre, spricht mich das emotional an.“

Genauso nahe gehen ihm auch die Biber. „Hier, da ist noch der kleine Trampelpfad, von dem er immer über die Straße ist“, berichtet er von dem vor kurzen totgefahrenen Nager. Es sind die saftigen Gehölze im benachbarten Erlenbruch, die die Tiere nachts aus dem Rohrbruchteich locken. Der Weg ist nicht weit – vier Meter, breiter ist die Rhenaniastraße nicht, die die beiden Tümpel voneinander trennt. „Die Straße zu sperren, wäre die billigste Lösung und würde nicht mal Verkehrsbeeinträchtigungen nach sich ziehen“, resümiert Krauß. Die beiden Bushaltestellen würden so gut wie gar nicht frequentiert, Pkws könnten über die parallele Daumstraße ausweichen. Die Verkehrsberuhigung für die Anwohner hätte man zum Nulltarif dazu. „Wenn man wollte, könnte man hier ein einfaches Beispiel setzen, wie Naturschutz aussehen kann.“

Im zuständigen Spandauer Umweltamt sieht man das anders. „Natürlich sind uns die Biber ein Anliegen. Aber wir müssen genauso die Einwohner Haselhorsts und die Straßennutzer bedenken“, sagt Walter Göllner, leitender Baudirektor. Eine Straßensperrung würde ein nicht vertretbares Verkehrsaufkommen für die Anwohner am nahen Haselhorster Damm verursachen. Auch könne man nicht eigenmächtig Buslinien verlegen. Mit einer Tempo-30-Zone in den Nachtstunden habe man zudem bereits etwas unternommen.

„Da hält sich doch überhaupt niemand dran. Hier wird immer noch mit 50 Stundenkilometern und mehr langgebrettert“, widerspricht Manfred Krauß. Das zumindest bestätigt auch Walter Göllner. „Aber wir arbeiten an einer guten Lösung. Wir sind doch stolz, dass wir den Biber hier haben.“ Zaunsetzung, Bodenwellen zur Geschwindigkeitsbegrenzung, Untertunnelung, selbst die Straßensperrung soll noch einmal von der Fachverwaltung geprüft werden. Obwohl gerade Letzteres wenig Aussicht auf Erfolg hat: „Eine Sperrung kommt nicht in Betracht.“ Dennoch dürfe sich der BUND bei den Expertisen einbringen. Wie weit die Arbeit aber geschätzt wird, ist unklar: „Die dürfen sich nicht immer so einseitig zeigen“, kritisiert Amtsleiter Göllner.

Dass auf die Briefe an den Senat über die Situation der Biber nicht geantwortet wird, dass Autofahrer oft mehr zählen als Fauna und Flora, das macht Biberschützer Krauß schon mal „stinkig“. „Aber nicht so, als dass ich alles hinschmeißen würde.“ Nachdem bereits im Mai 2006 eine Bitte des BUND zur Teilsperrung der Rhenaniastraße an die Senatorin für Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reyer (SPD), unbeantwortet blieb, fordert der BUND nun erneut eine Antwort ein. „Der Senat steht so oder so in der Pflicht“, bekräftigt Krauß. In Berlin und Brandenburg wird der Biber auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tiere geführt. Und auch eine EU-Richtlinie legt fest, dass seine Population nicht vermindert werden darf. Bei Verletzungen der Richtlinie drohen saftige Geldstrafen.

Doch dazu soll’s erst gar nicht kommen. Manfred Krauß hofft weiter auf ein Einlenken der Verwaltung. „Die Straße hier in die Parkanlage eingliedern zu können, wäre toll.“ Und wenn nicht? Krauß wird etwas energisch. „Wir werden keine Ruhe geben. Vielleicht müssen wir mit unserem Protest anders vorgehen und die nächste Biberleiche direkt vor die Senats-Tür legen.“