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Archiv-Artikel

Sieben Wochen mit Hartz IV

Wie lebt es sich mit 345 Euro im Monat? Mit einem Planspiel will die Diakonie der evangelischen Landeskirche in Hannover auf die Sorgen von Langzeitarbeitslosen aufmerksam machen

VON KAI SCHÖNEBERG

Göttliche Pausen, Morgenwonnen oder Aufbruchssegen verheißen die staubtrockenen Evangelen ihren Schäfchen, wenn sie in der Fastenzeit auf Sonntagsbraten, Zigaretten oder sogar Fernsehen – kurz alles, was Spaß machen könnte – verzichten: Sieben Wochen lang, von Aschermittwoch bis Ostern, sollen die Protestanten auch in diesem Jahr fasten, Gewohntes „los lassen“, sich auf neue Erfahrungen „einlassen“.

Laut Umfragen selbstkasteit jeder fünfte Deutsche mit – ob mit oder ohne Kirche, die die Aktion „Sieben Woche ohne“ nennt. Beachtlich für ein egomanes Zeitalter. Die Diakonie der hannoverschen Landeskirche setzt in einer deutschlandweit einzigartigen Aktion jetzt sogar noch einen drauf: „Sieben Wochen leben mit Hartz IV“ ist der Name einer Aktion, an der sich 15 Standorte im Sprengel beteiligen. Armut auf Probe in der Passionszeit.

„Muss ich davon auch meine Hausratversicherung bezahlen?“, wurde auch Horst-Peter Ludwigs schon gefragt. Ja, lautet die Antwort des Leiters der Diakonie in Celle, das und vieles mehr ist alles in den 345 Euro pro Monat mit drin. Bereits 1998 hat Ludwigs ein ähnliches Planspiel mit dem Bezug von Sozialhilfe gestartet. Der Unterschied zu damals: Es melden sich heute bei ihm kaum Familien, die das Ganze spaßeshalber durchtesten wollen, um die Kleinen zu erziehen. Es sind vor allem Alleinstehende und Paare, die ernsthaft nachvollziehen wollen, wie sich Ausgrenzung per Portemonnaie anfühlt. „Hartz IV ist den Menschen emotional näher als die Sozialhilfe“, sagt Ludwigs – zu nah, als dass sie mit dem in vieler Hinsicht prekären Thema auch noch ihre Kinder belasten wollen. Immerhin sind derzeit rund elf Millionen Deutsche von Hartz IV betroffen oder bedroht. Tatsächlich kann jeder nach einem Jahr Arbeitslosigkeit dran sein.

Am Anfang des Tests steht das Ausfüllen eines Original-ALG II-Fragebogens. Etwa 30 Seiten lang, um den „Regelsatz“ der Bedürftigen laut Sozialgesetzbuch zu ermitteln. Während der Hartz-IV-Zeit werden die Ausgaben zudem in einem Haushaltsbuch genau festgehalten. Ein alleinstehender „Langzeitarbeitsloser“ darf für Nahrung und Tabak täglich 4,37 Euro ausgeben, für Bekleidung und Schuhe 1,15 Euro, für die Gesundheit 46 Cent, für Möbel und Haushaltsgeräte gibt es täglich 92 Cent. In einer „Überschreitungsliste“ können die Teilnehmer notieren, wenn sie über ihre Verhältnisse gelebt haben. Das geht schnell: Ein Besuch im Kino oder Ausflüge, sind für die ALG II-Empfänger auf Zeit nicht mehr drin.

Auch die Miethöhe spielt eine wichtige Rolle. „Vielleicht müssen wir den Teilnehmer damit konfrontieren, dass er seine Wohnung verlassen muss“, sagt Ludwigs. Am Ende des Planspiels werden die Beteiligten nach ihren Erfahrungen befragt: Wie haben die Bekannten reagiert? Konnten Sie 14 Prozent der monatlich 345 Euro für den Kauf von langlebigen Gütern ansparen? Ob alle Teilnehmer es schaffen, unter der finanziellen Knute zu leben, ist Ludwigs gar nicht so wichtig: „Mir reicht es, wenn sich die Leute damit auseinander setzen“, sagt der Leiter der Diakonie in Celle. „Dadurch steigt die Legitimation, darüber in der Öffentlichkeit zu diskutieren.“

Das Interesse an dem Planspiel ist rege: „Wir haben hier bereits etliche Anmeldungen – eine Wahnsinnsresonanz“, sagt Heike Neumann von der Diakonie in Quakenbrück. Anwälte, aber auch viele ältere Menschen haben schon bei ihr Unterlagen angefordert. Eine Interessentin, erzählt Neumann, habe gefragt: „345 Euro für Lebensmittel und Kleidung? So viel Geld brauch’ ich nicht.“

www.leben-mit-hartz-iv.de