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Archiv-Artikel

Sisyphos unter den Werktätigen

Ein Malerfürst, das ist er nicht: In seiner Wolfsburger Retrospektive erweist sich Neo Rauch als geschickter Illustrator, der seine eigene Rolle als Galionsfigur der Leipziger Schule durchaus mit abzubilden weiß – bis hin an die Grenze zum Fantastischen

von ULF ERDMANN ZIEGLER

Als der Name vor Jahren die Runde machte, wunderte man sich über die Kombination: das Glühen der italienischen Piazza und das Beißen in den Augen, verbunden mit Neo Rauch. Aber er heißt wirklich so, der schmale Mann mit dem ungleichen Augenstand, dem die Worte gewandt und gewitzt entfleuchen mit einem sächsischen Tonfall, obwohl er in Aschersleben im Harz aufgewachsen ist.

Neo Rauch, Jahrgang 1960, steht für alles, was aus der Leipziger Malerschule geworden ist, nachdem die Generation der Lehrer, nach der Wende als „Staatsmaler“ geächtet, still aufgegangen ist im Kanon, ohne dass so recht ein Hahn danach krähte. Rauch, dem 2000 der Durchbruch in den USA gelang, gilt als Speerspitze, als ältester und (in jedem Sinne) reichster Maler an der Leipziger Peripherie. Das Kunstmuseum Wolfsburg hat die Entwicklung nicht verschlafen, sondern Rauch beispielhaft gesammelt, und richtet nun die erste Retrospektive aus. Auch wenn sie nicht so heißt.

Gleich sechs Texte begleiten „Neue Rollen – Bilder 1993 – 2006“ im Katalog, und man kann mit Gewissheit festhalten: Über Neo Rauch lässt sich gut schreiben. Diese Kunstbilder geben dem Kunstaffen Zucker. Wolfsburgs neuer Museumsdirektor, Markus Brüderlin, kritisiert sogar die blühende Phraseologie, die sich um Rauchs Werk rankt und der sein Katalog offensichtlich durch ernsthafte Deutung entgegentreten soll. Die Phrasen trügen „zur Klischeebildung eines Künstlerlebens bei, das sich eigentlich unspektakulär und bescheiden zwischen einem spitzgiebligen Wohnhaus […] und einer alten Fabrikhalle auf dem Plagwitzer Industriegelände in Leipzig abspielt“.

Dieses Terrain entdeckt Katalogautor Harald Kunde als Rauchs ureigenes Sujet, nicht zufällig Mitte der 90er-Jahre, als die DDR noch roch und das neue Leipzig noch nicht Gestalt angenommen hatte: „Hallen und verödete Werksgelände einer brachliegenden Produktion, Appellplätze und Barackenfluchten militärischer Einrichtungen, in denen Befehle echolos verhallten.“ Folgerichtig spielen in dieser Phase bei Rauch „Themen wie Arbeit, Modellbau, Übung und Manöver eine gewichtige Rolle.“

Während in den frühesten gezeigten Arbeiten die Figuren – typisch sächsischer Expressionismus – sich aus dem malerischen Urgrund nicht befreien können, findet man plötzlich stramme Helden der Arbeit, deren Vorbild nur Sisyphos sein kann. In „Nachtarbeit“ sind sie zu dritt dabei, gruppiert um einen gewaltigen schwarzen Planungstisch, das Modell einer Industrieanlage in Form zu schieben. Statt der Deckenlampe schwebt über ihnen eine leere Sprechblase, ein hohl gewordener Auftrag. Die gesamte Büroszene erscheint aber selbst als Denkblase, die nach der Art eines Papierausrisses in einem verblichenen, buchstäblich gegenstandslosen Raumwinkel erscheint, Bild im Bild. Dessen schmutzige Grünlichkeit, also der Hintergrund, schließt sich wiederum kurz mit der Farbigkeit des Konstruktionsbüros, das aussieht wie Plaste und Elaste aus Dessau. Grün, Rot und Gelb: die städtevernichtende Projektierung der DDR, kurzgeschlossen mit dem Bauhaus. Die Polemik ist unübersehbar.

Jene, die an der Ausführung längst obsolet gewordener Fünfjahrespläne festhalten, sind übrigens männliche Wesen, deren Physiognomie der Maler sich im Spiegel abgeschaut haben mag. Die spätere Hinzufügung von Frauen – als Krankenschwester, Hilfsarbeiterin, Köchin und Mutter mit Kind – bedeutet dann schon die Auflösung des Themas, nicht das des Sisyphos, sondern das der sozialistischen Sendung zur Verbesserung der Menschheit. Wolfgang Büscher nennt (im Katalog) Rauchs Bilder „entlassene Genresträflinge in antiidyllischen Idyllen“.

Diese Werkphase, etwa 1996 bis 2002, kann man der künstlerischen Arbeit am verblichenen Sozialismus zuordnen. Diese Bilder würden mühelos aufgehen in einer Gruppenausstellung, die auch die leuchtenden kommunistischen Embleme von Komar & Melamid und die klaustrophischen Interieurs Ilya Kabakovs einschließen müsste.

Die Wolfsburger Ausstellung deutet eine chronologische Werkschau an, arbeitet aber mit Kunstgriffen. So stammt das erste Bild der Ausstellung nicht von 1993, sondern von 1998. Über eine Mattheuer’sche Landschaft ist in den blauen Himmel in Girlandenschrift das Wort „Ende“ gemalt. Das Wort als Bildstörung, Eindringling, Mittler zwischen Wörtlichkeit und Wortwörtlichkeit hat Rauch immer wieder eingesetzt. Nicht als Schrift gewordenen Strich Cy Twomblys und auch nicht als naive Signatur Anselm Kiefers, sondern nach Art kodierter Typografien. Ihre ironische Giftigkeit scheint sich mit den leerlaufenden Arbeiterhelden nicht zu vertragen – jedenfalls kehren die Typografien, exakt bezogen auf Dekaden, nur schleichend zurück in die postindustriellen Landschaften Rauchs.

Es gibt in dieser Ausstellung ein Bild, das in seiner Suggestivität und Vollendung ganz allein steht: U-Boot-Aliens in tiefvioletten Anzügen besteigen bei Nacht einen Ponton, auf dem ein hell erleuchtetes Atelierhaus steht, das sich als matissehafte Tapisserie im Wasser spiegelt. „Reflex“ steht in industrieller Schreibschrift über den Vollmond geschrieben, aber es könnte auch „Harley Davidson“ heißen. „Reflex“ ist auch der Titel des Bildes, sodass die Titeltypografie (oder das Mond-Logo, wie man will) der gruseligen Szene eine ironische Wendung gibt. Die Nacht tiefschwarz, das Bildformat wird nahtlos gefüllt. Der Bildraum ist durch die Aliens szenisch karikiert, aber perspektivisch ungebrochen. Wir schreiben das Jahr 2001: Rauch ist der Maler, vor dessen Atelier, wie aus dem Nichts, Fremde erscheinen, Beutejäger.

Nun verabschiedet sich Rauch von den grafisch illustrierten Industriebrachen. Aber auch auf die Möglichkeit, das Bild wie einen Bühnenraum zu schließen („Reflex“), kommt er nicht mehr zurück. Da wird die Landschaft in das Interieur gespiegelt wie eine Fata Morgana. Es soll heute sein und Biedermeier, Tag und Nacht, Krieg und Spiel zugleich. Mal schlagen die Formate, große nun, aus in Richtung Phantasia, dann wieder neigen sie zur Collage von Klischees. Die Figuren fliegen wie bei Chagall, die Szenerien glühen in Apokalypse wie bei Radziwill, die Himmel stehen in Brand wie bei Grosz. Die sozialistischen Abziehbildhelden mutieren ins Altdeutsche, die Muttis changieren zu Trümmerfrauen.

Während vor fünf Jahren noch klar war, wogegen sich die Bilder richteten, verlieren sie nun an Widerstand. Vage schimmert ein Ressentiment gegen die Moderne durch. In „Abstraktion“ stehen Maler mit ihren Staffeleien in einem chinesischen Pavillon. Auf einer weißen Malerleinwand sieht man Mondrianartiges entstehen. Die abstrakten Maler sind also blind für die Landschaft, in die sie schauen, und die Rache, die sich anbahnt in Form zweier blickloser Riesen, die sich säbelschwingend daranmachen, den Malerpavillon kurz und klein zu schlagen.

In letzter Zeit hat es viele Besuche in Neo Rauchs Atelier gegeben. Dabei ist deutlich geworden, dass er ohne Archiv, also ohne Bildquellen, arbeitet. Er fertigt auch keine Vorzeichnung an, bevor er das Gemälde beginnt. Und wenn es fertig ist, verlässt es das Atelier alsbald; nichts behält Rauch zurück. Im Katalog schreibt Gernot Böhme: „Die Irritation ergibt sich dadurch, dass da in den Bildern offenbar ein Text ist, freilich einer, der keinen Sinn mehr ergibt. Die Signifikanten schweben frei im Raum, es fehlt der Hintergrund, auf dem sie interpretierbar würden, es fehlt die Einheit des Themas, das sie zum Satz, zur Erzählung machen könnte.“

Das soll ihn wohl dekonstruktiv nobilitieren, erklärt aber das Problem dieser Malerei in nuce, das durch die Wolfsburger Retrospektive evident wird. Rauchs Bereitschaft, sich dem Malerischen zuzuwenden, begegnet man immer wieder in kleinen Formaten, der skandinavischen Abendstimmung „Einkehr“ oder dem „Finder“, einer überstrahlten Sommerszene mit Richter’scher Bildstörung. Aber die großen Formate fallen auseinander. Hätte er sich doch nicht von Immendorffs Historienwahn inspirieren lassen.

Wolfsburg: Neo Rauch meidet die Presse, aber trifft am Nachmittag auf Mitarbeiter des Kunstmuseums, die in der Mehrzahl Mitarbeiterinnen sind. Im nadelgestreiften Sakko, in Bluejeans, Cowboyschuhen wirkt er nicht wie der Malerfürst, zu dem man ihn stilisiert hat, und er bedauert mit einem Hauch von Zorn, der in ihm aufwallt, dass „sogar ein Gespräch wie dieses im Blitzlichtgewitter stattfindet. Das ist doch nicht normal.“

Ist es auch nicht. Rauch wehrt sich gegen das, was die Amerikaner Persona nennen, diesen öffentlichen Schatten seiner selbst, der übermächtig geworden ist. Seit Jahren erwartet man Wunder von ihm – und Rauch hat Wunder erdacht: sinnentleerte Sinnbilder, die kein Alienkrakenarm, kein Popmonster noch zusammenhalten kann. Künstlerischer Fundus ist sein Geschick geblieben, das Geschick eines Illustrators, der in der Kontur besser ist als in der Fläche. Wie sagte Udo Kittelmann kürzlich bei der Eröffnung der Ausstellung von Andreas Slominski in Frankfurt: „Wir brauchen einen neuen deutschen Meister, aber es kann nicht Neo Rauch sein.“ Und er hat recht.

Bis 11. 3., Kunstmuseum Wolfsburg