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Archiv-Artikel

„Klarer Verstoß gegen EU-Recht“

Umweltverbände können bald vor Gericht klagen. Doch das neue deutsche Gesetz führt die Brüsseler Vorgabe ad absurdum, sagt Umweltexperte Michael Zschiesche

taz: Herr Zschiesche, der Bundestag hat die EU-Richtlinie zur Umweltverbandsklage endlich umgesetzt. Warum sind Sie unzufrieden?

Michael Zschiesche: Deutschland hat seine Verpflichtungen nur unwillig und vor allem unvollständig erfüllt. Das neue Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, das der Bundestag in der Nacht zum Freitag beschlossen hat, ist ein klarer Verstoß gegen die EU-Vorgaben.

Was kritisieren Sie an dem deutschen Gesetz

Die EU fordert, dass den Umweltverbänden ein „weiter Zugang“ zu den Gerichten ermöglicht wird. Deutschland gibt den Verbänden aber nur die gleichen Klagerechte wie den Bürgern.

Was ist daran schlecht?

Sinn des Verbandsklagerechts ist, dass Verbände die Verwaltung dort kontrollieren, wo einzelne Bürger dies nicht so gut oder gar nicht können. In Deutschland können die Anwohner eines neuen Kraftwerks vor Gericht zum Beispiel nur die Einhaltung der Vorschriften durchsetzen, die dem Schutz ihrer Gesundheit oder ihres Eigentums dienen. Viele Umweltnormen dienen aber der Allgemeinheit, etwa Bestimmungen zur Luftreinhaltung oder zum Klimaschutz. Hier kann kein Bürger klagen, selbst wenn die Verwaltung eine Anlage mit veralteter Technik genehmigt. Wer die Verbandsklage auf Normen beschränkt, die einzelne Bürger bereits jetzt schon einklagen können, führt die Idee dieser Klageart ad absurdum.

Wie geht es jetzt weiter?

Ziel der Umweltbewegung ist es, dass das deutsche Gesetz so schnell wie möglich vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg überprüft wird. Auf den neuen deutschen Richter Thomas von Danwitz können wir dabei allerdings nicht zählen. Der hat als Kölner Professor erst im letzten Jahr ein Gefälligkeitsgutachten für die Industrieverbände erstellt, das die Vorgaben des EU-Rechts in dieser Frage kleinredet.

Tun sich andere EU-Staaten genau so schwer mit der Verbandsklage wie Deutschland?

Nein. Selbst in Österreich, wo die Bürger auch nur wegen bestimmter Normen klagen dürfen, ist die Umsetzung der EU-Richtlinie sehr großzügig erfolgt.

Die deutsche Industrie fürchtet bei solchen erweiterten Klagerechten eine Welle von Klagen, die die Gerichte lahmlegen und Investitionen behindern würde …

Die hat es in Österreich nicht gegeben und würde es auch in Deutschland nicht geben. Derzeit initiieren die Umweltverbände in Deutschland etwa 30 bis 50 Verbandsklagen pro Jahr. Es gibt ja schon eine eng begrenzte Verbandsklage beim Naturschutz. Wenn die Umweltverbände künftig auch die Einhaltung von Schadstoff- und Klimaschutznormen kontrollieren können, dann haben sie zwar mehr rechtliche Möglichkeiten, aber noch lange nicht mehr Geld oder Personal.

Es wird also mehr Umweltprozesse als heute geben?

Davon gehe ich aus. Allerdings werden die Prozesse dann wichtiger. Und vor allem hat das Verbandsklagerecht präventive Wirkung. Die Verwaltung wird besser arbeiten, wenn sie weiß, dass eine gerichtliche Kontrolle möglich ist. Gerade in Zeiten, in denen die Umweltverwaltung personell ausgedünnt wird, ist das wichtig. Ohne die Möglichkeit der Verbandsklage stünden weite Teile des Umweltrechts bald nur noch auf dem Papier.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH