: Das Geheimnis von Tärnaby
Nach Ingemar Stenmark kommt mit Anja Pärson noch ein alpiner Superstar aus dem schwedischen 500-Seelen-Dorf
ARE taz ■ In diesen Tagen ist wieder einmal viel von Tärnaby die Rede, dem wohl berühmtesten Dorf Schwedens. Kein österreichischer Skiort kann sich mit mehr Weltcup-Siegen und WM-Triumphen dekorieren. Für das zehnte Gold für Tärnaby bei Titelkämpfen sorgte in Are Anja Pärson im Super-G. Und natürlich musste die 25-Jährige wieder einmal viel erzählen von ihrem Heimatort, der auch der von Ingemar Stenmark ist, mit 86 Weltcup-Siegen immer noch erfolgreichster Skirennläufer. Und der von Jens Byggmark, der Ende Januar die beiden Slaloms von Kitzbühel gewonnen hatte.
Genau erklären kann Anja Pärson das Geheimnis von Tärnaby, das immer wieder auf ganz wunderbare Weise neue Ski-Stars hervorbringt, nicht. Sie meinte einmal, vielleicht liege es am besonderen Wasser dort oben. Im Frühjahr, nach der Schneeschmelze, badet halb Tärnaby im Fluss „Ume äv“, zur „Seelenwaschung“, wie die Einwohner der 500-Seelen-Gemeinde nahe des Polarkreises das Ritual bezeichnen. Der Österreicher Helmut Krug, Cheftrainer des schwedischen Skiteams, hat eine ganz andere, viel einfachere Erklärung. „Dort gibt’s eben nichts außer Skifahren.“ Man würde in Tärnaby wohl schneller vereinsamen als von einem Auto überfahren zu werden.
Anja Pärson hat natürlich früh mit Skifahren begonnen, mit drei Jahren. Vielleicht ist es jener Unwirtlichkeit der Gegend auch zuzuschreiben, dass sie zu der Sportlerin reifte, die sie heute ist. Sie galt schon im Kindesalter als sehr willensstark, zielstrebig und unerschrocken. Mit 18 Jahren gewann sie ihr erstes Weltcup-Rennen, mit 20 Jahren ihr erstes WM-Gold. Es folgten vier Weltmeistertitel, eine olympische Goldmedaille und zwei Gesamtweltcup-Siege. Heute hat Anja Pärson mit 24 Jahren alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Aber da war dann noch diese WM im eigenen Land – und die ließ sie sich nicht nehmen.
Dabei hatte diese Saison nicht gut begonnen. Im vergangenen März hatte sie sich in Vail einer Knieoperation unterziehen müssen, und die Verletzung war langwieriger als gedacht. Die Harmonie auf dem Ski habe ihr von Anfang des Winters an gefehlt, erzählt sie. Zweimal wurde sie Dritte im Weltcup, aber das ist für eine wie Anja Pärson, die schon 34-mal ganz oben auf dem Podest stand, nicht gut genug. Die WM im eigenen Land rückte näher, und sie spürte fast so etwas wie eine Verpflichtung gegenüber neun Millionen Schweden, in Are erfolgreich zu sein. „Ein Titel ist eigentlich nicht realistisch, wenn man die Saison betrachtet. Aber ich will die Fahne für mein Land hochhalten. Und niemand weiß, was bei einer WM so alles passiert.“ Also hat sie sich nur noch auf das Großereignis konzentriert. Ihr Vater Anders Pärson, der sie von Kindesbeinen an trainiert, hat sie vor den letzten Weltcup-Rennen in San Sicario heimgeschickt. Während sie den Sonderurlaub mit ihrer Schwester und ihren Freunden genoss, tüftelte der Papa am Material, besonders am Schuh. Denn der hat gedrückt, beziehungsweise, zu viel Druck auf die Kanten zugelassen. „Was das Material betrifft“, lobt Anja Pärson ihren Vater, „gelingt es ihm immer, das gewisse Extra zu finden.“
So auch dieses Mal. Denn kurz vor dem WM-Start hatte Anja Pärson zum ersten Mal seit langem wieder ein gutes Gefühl beim Skifahren. Der Tag des ersten WM-Rennens begann für sie ganz ungewohnt. Beim Frühstück vertrieb sie sich mit Teamkollegin Nike Bent die Zeit beim Puzzlespiel, ganz entspannt. „Ich musste mich fast schlagen und mir sagen: Das ist ein WM-Rennen, kein Trainingslager.“ Erst am Start sei die Nervosität gekommen. „Dann bin ich die erste Kurve gefahren und plötzlich war ich in meiner Welt.“ Die Welt, die für die Skirennläuferin Anja Pärson vor allem bedeutet, zu gewinnen. ELISABETH SCHLAMMERL