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Archiv-Artikel

Die Tüftler aus dem dritten Stock

Wie klingt eine Landschaft? Was ist Lärmverschmutzung? Wo haben Kompositionen des Mittelalters Gemeinsamkeiten mit denen der Gegenwart? Weitläufig ist die Kulturgeschichte des Klangs. Der neue Studiengang Sound Studies der Universität der Künste beginnt das Gelände zu vermessen

VON BJÖRN GOTTSTEIN

„Acht Punkt Null, Alter!“ Die Stimmung ist gelöst. Im Seminar „Das Studio als Instrument“ stellen Studenten eine Gemeinschaftsarbeit vor. Achtkanalig. Höchster Hörkomfort also. Acht Studenten haben den Potsdamer Platz mit Aufnahmegeräten abgehorcht. Das Ziel der Arbeit, werde ich an der Universität der Künste eloquent eingewiesen, sei eine akustische Landkarte, die Sonifikation des unwirtlich urbanen Terrains.

Die Vorstellung beginnt. Viel zu laut! Bei einem derart hohen Pegel, erklärt Martin Supper, der das Seminar leitet, wird die räumliche Wirkung der mehrkanaligen Musik von den Eigenresonanzen des Saales überlagert. Und auf den Raum komme es doch gerade an. Also noch einmal. Die S-Bahn fährt ein, die Probanden steigen aus, zerstreuen sich im Laufe der kommenden Minuten und streifen als horchende Flaneure zwischen Tiergarten und Stresemannstraße, zwischen Nationalgalerie und Holocaustdenkmal umher. Als Hörer verliert man sich bald im Rauschen der Stadt, im kathedralen Hall des Sonycenters und dem dichten Verkehr der Leipziger Straße.

Im dritten Stock der Musikwissenschaftler der UdK in der Lietzenburger Straße residiert ein neuer Studiengang: Sound Studies/Akustische Kommunikation. Die zweiunddreißig Teilnehmer des ersten und bislang einzigen Jahrgangs werden hier in die Mysterien des Klangs eingeführt – aus technischer, historischer und ästhetischer Sicht. Als der kostenpflichtige Aufbaustudiengang am 18. April 2006 vom Stapel lief, wusste niemand so recht, wohin genau es eigentlich geht. Zwar hatte man mehrfach Symposien einberufen und das Desiderat eines interdisziplinären Fachbereichs leidenschaftlich beschworen. Aber wie und wem diese neue Synthese des Denkens zu vermitteln sei, darüber herrschte allgemeine Ahnungslosigkeit.

Tatsächlich, bestätigen gleich mehrere Studenten, habe man am Anfang nicht recht gewusst, worauf man sich da genau einlasse. Dass sich die Trennung der dem Klang anverwandten Bereiche überlebt hat, dass Musiker und Musikwissenschaftler, Tontechniker und Sounddesigner zusammengehören, darin war man sich weitgehend einig. An der Rechtmäßigkeit dieses Studiengangs zweifelt kaum jemand; wie in anderen Disziplinen hat sich der Horizont auch im Bereich der Musik verschoben.

Die Phänomenologie der akustischen Wahrnehmung muss heute dem klassische Konzert und dem Klingelton gerecht werden, dem DJ-Set und der Klangökologie der Großstadt.

Der Impuls zu einer derart weitläufigen Kulturgeschichte des Klangs kommt aus der Wissenschaft selbst. Kulturgeschichtliche Einzelstudien, Alain Corbins „Die Sprache der Glocken“ zum Beispiel und James H. Johnsons „Listening in Paris“, aber auch der 2003 erschienene „Auditory Culture Reader“ kamen einer Initialzündung gleich, die der kulturellen Bedeutung des Klangs über das klassische, am Werk orientierte Parameterdenken hinaus Relevanz verlieh. Der Studiengang der UdK ist also kein Sonderweg und auch keine exzentrische Spinnerei. Auch amerikanische und australische Universitäten bieten Sound Studies an; in Deutschland zieht die Bonner Musikwissenschaft im Herbst mit einem Master-Studiengang nach.

Trotzdem leidet das Fach unter einer gewissen Orientierungslosigkeit, weil sich ein fassbares Curriculum nun einmal nicht aus dem Boden stampfen lässt. Wie in vergleichbaren Fällen – man denke an die Anfänge der Gender und der Cultural Studies – schärft sich das inhaltliche Profil des Studiengangs erst im täglichen Betrieb. Man habe den Unterricht im Laufe der ersten Monate dem Interesse und den Kompetenzen der Studierenden angepasst, bekennt Karl Bartos, früher Mitglied der Gruppe Kraftwerk, nunmehr Gastprofessor für „Auditive Mediengestaltung“. Weitere Fachbereiche heißen „Experimentelle Klanggestaltung“, „Klanganthropologie/Klangökologie“ und „Akustische Konzeption“ – eine verworrene und nichtssagende Nomenklatur, die die Ahnungslosigkeit der ersten Stunde auf den Punkt bringt.

Auf den Wissensstand der Studenten hin angesprochen, lächelt Bartos süffisant: „Einige wissen einiges.“ Studierende der Sound Studies kommen aus den Bereichen Architektur, Stadtplanung, Komposition, Schauspiel, bildende Kunst und Tontechnik; es sind Hörspielproduzenten und Autorinnen darunter, Klangkünstler und DJs, Instrumentalisten und Sänger. Mit einem DJ klopft Bartos ein Club-Set auf musikalisch-formale Aspekte hin ab; mit anderen wieder durchleuchtet er Pierre Schaeffers cinematografisch angehauchte Analysen der Werke Claude Debussys auf schlagkräftige Metaphern. Oder er collagiert Werke vom Mittelalter bis zur Gegenwart, um sie so auf strukturelle Gemeinsamkeiten und Differenzen hin auszuhorchen.

Die Studenten, ergänzt Holger Schulze, sollen die UdK mit einem kritischen Bewusstsein für Klang verlassen. „Wer bei einem Label oder einer Agentur arbeitet, muss reflektiert über Musik nachdenken und das auch sprachlich umsetzen können.“ Schulze unterrichtet Klanganthropologie und Klangökologie. Seine Aufgabe ist es, die Sprache der Studenten als analytisches Werkzeug zu schärfen – vom philosophischen Diskurs bis zum Gebrauchstext. Gleichzeitig wird hier das Bewusstsein für die Fragilität des Klangs geweckt. Denn Klangökologie heißt nicht einfach Lärmverschmutzung vermeiden, sondern auch das akustische Ambiente als aktiv zu gestaltende Sphäre zu begreifen und das „Lebewesen Klang“ mit seinen dynamischen, quasi-biologischen Eigenschaften zu hüten.

Das achtkanalige Soundscape des Potsdamer Platzes geht zu Ende. Die Studenten analysieren Unstimmigkeiten in der Realisation und im Konzept. Es geht um Fragen der Orientierung und der Plastizität. Die Legitimität der Arbeit stellt hier niemand in Frage. Dabei habe er vor wenigen Monaten nicht einmal gewusst, was ein Soundscape sei, räumt einer der Studenten später ein. Dabei sei doch gerade die künstlerisch-dokumentarische Form der akustischen Landschaft ein besonders geeignetes Werkzeug, um die Wahrnehmung zu schärfen.

Das Gespräch ist ernst, aber freundlich. „Die wichtigsten Lehrer sind meine Kommilitonen“, bringt ein Student die Bedeutung des Plenums auf den Punkt: Der Künstler lernt vom Techniker, der Techniker vom Sänger, der Sänger vom Hörspielproduzenten. Wenn dieser erste Studiengang im Frühjahr 2008 zu Ende geht, wird die Welt um einige gute und kritische Hörer reicher sein.