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Archiv-Artikel

Sex in the suburb

DEUTSCHE OPER Graham Vick lässt Richard Wagners „Tristan und Isolde“ unter alten Männern im Ruhestand spielen. Die theatralische Idee ist überzeugend, doch leider dirigiert Donald Runnicles auch nur wie ein Rentner

Der „Tristan“ ist noch bei weitem das Beste, was Wagner sich geleistet hat

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Die Deutsche Oper ist ein schlafender Riese. Kirsten Harms, die Intendantin, hat ihn nie wirklich aufwecken können. Vielleicht wollte sie es gar nicht. Am liebsten hat sie ihn mit Erinnerungen an längst vergessene Werke gefüttert. Nur manchmal, und eher zufällig, war er aufgeschreckt worden wie von einem Albtraum, mit Schlingensief etwa oder zuletzt mit Roland Schwab und seinem „Don Giovanni“. Dann konnte man sehen und hören, wozu er fähig ist, dieser Riese. Zur ganz großen Oper nämlich, für die es sich lohnt nach Berlin zu reisen.

Ein seltsames Dämmern

Der Brite Graham Vick ist schon um die ganze Welt gereist und hat an praktisch allen Opernhäusern große Opern inszeniert. Das seltsame Dämmern an der Bismarckstraße scheint ihn inspiriert zu haben. Auch er will den Riesen nicht wecken. Er lässt ihn behutsam von Wagner träumen, um uns zu zeigen, wie komisch es ist, sich von Wagner betäuben zu lassen und dann stundenlang dahinzutreiben in diesem ewigen, mystischen Strom von Klang, in dem nichts geschieht, was mit einem wachem Verstand vereinbar wäre.

Dabei ist der „Tristan“ noch bei weitem das Beste, was Wagner sich geleistet hat, musikalisch ohnehin, aber auch dramaturgisch – den Text versteht man sowieso nicht, und das ist auch gut so. Bei Vick und seinem Bühnenbildner Paul Brown sind wir in einer Villa im Grünen am Stadtrand, 60er-Jahre, und ein bisschen mehr als ein Reihenhaus, aber nicht viel. Man sieht einen weißhaarigen Mann reglos im Sessel, den Rücken zum Publikum, ein Sarg dient als Couchtisch, eine maßlos überdimensionierte Leuchte schwebt mal dahin, mal dorthin, eine junge, nackte Frau kommt herein und geht ins Bad. Punks und Rapper fegen den Fußboden, und zur Rechten steht Petra Maria Schnitzer auf einem Tisch, rafft wütend ihr Brautkleid zusammen und reißt es sich dann vom Leib. In Unterwäsche schickt sie Jane Irwin, ihr Dienstmädchen Brangäne, zu diesem Helden Tristan, der sie entführt hat. Sie befiehlt ihm zu kommen, denn sie will sich rächen.

Tatsächlich schiebt jetzt Peter Seiffert (eine Bayreuther Legende) seinen massigen Körper durch die Glastür und setzt sich auf die Couchgarnitur. Was will die bloß von ihm? Sie gehört seinem Chef. Aber die Brangäne hat ein Arzneikästchen mit Spritzen, die sich die beiden dann doch kunstgerecht setzen, und los geht der Männertraum. Ficken, endlos ficken zur Musik der Liebesnacht, die ja auch ohne Drogen jeden um den Verstand bringen kann.

Das obszönste Duett der Opernliteratur

Das wird noch immer wunderbar gesungen von Peter Seiffert, leider weniger von der jüngeren Eva Maria Schnitzer, der es mit ihrer harten, unkontrollierten Stimme nicht gelingt, in dieses obszönste Duett der ganzen Opernliteratur einzustimmen. Auch sonst wirkt ihre Isolde leblos und angelernt, ganz anders als Seifferts Tristan, ein Geschäftsmann, der das Leben kennt und diese Villa in der Suburb auch ohne faulen Kredit bezahlt hat – obwohl ihn der Bass Kristinn Sigmundsson als König Marke nun ganz gewaltig wegen „Lohn“ und „Zinsen“ ansingt.

Was kann er dafür? Im dritten Akt lässt ihn Vick an der Glasfront zum Garten stehen. Ein Strom von grauem Sand rieselt von Bühnenhimmel, am Tisch sitzen zwei andere alte Männer und fragen sich, ob er noch lebt, und wann das Schiff mit Isolde kommt. Oh ja, Peter Seiffert lebt und lässt nun hören, was wir immer noch an ihm haben. Er ist der ideale Tenor für Wagner, nicht der beweglich funkelnde Glanz liegt in seiner Stimme, der für Puccini oder Verdi nötig ist, dafür aber eine geradezu materielle, irdische Kraft auch in den hohen Lagen.

Der Riese von der Bismarckstraße regt sich nun doch in seinem Dämmerschlaf. Dieser kranke, alte Mann, der jetzt mit Hornbrille und im Bademantel in seiner Karrieren-Villa herumtorkelt und seine verspätete Sexualfantasie verflucht, die er nicht mehr loswird, dann verbittert zur Tür hinausgeht in den Garten, wo der Sand inzwischen einen ganzen Hügel aufgehäuft hat: Das ist die ganz große Oper, die gebraucht wird, um dieses Haus auch in Zukunft zu erhalten. Nun dürfen auch Isolde und Marke auf die Bühne zurückkommen, um Wagner zu Ende zu bringen. Vicks zwischen Fernsehrealismus und Magritte’schen Träumen schwankendes Bild bleibt wie eingefroren stehen, um Wagners kosmischer Apotheose des Liebestodes Raum zu geben.

Lauter auf die Pauke hauen

Die theatralische Idee dieses Arrangements ist überzeugend, nur wird sie leider nicht wirklich ausgeführt, weil Donald Runnicles und sein Orchester nun doch wieder in Schlamperei der letzten Jahre zurückgefallen sind. Ohne jede innere Spannung und Anteilnahme spielen sie daher, kaum ein Einsatz der Holzbläser, der nicht verwackelt ist, stur und im Tempo ohne Rücksicht auf den Gesang. Man mag kaum glauben, dass es wirklich das Orchester der Deutschen Oper Berlin ist, das so schlecht spielt. Vielleicht hätte Vick doch lauter auf die Pauke hauen sollen, damit sie es auch im Graben hören.

■ Nächste Aufführungen: Deutsche Oper, 18., 23., 31. März