HAMBURGER SZENE VON KATHARINA SCHIPKOWSKI : Seesack, ungeöffnet, zum Ersten, zum Zweiten, …
Seemannsmission am Michel, 13 Uhr 40: Die Bude ist voll. Schon zwanzig Minuten vor Beginn der Veranstaltung. Das Publikum: Die eine Hälfte Generation Sechzigplus, die andere Hälfte Medienleute. Eine Seemannskoffer-Versteigerung! Geil!
Mit so viel Publikum hatte das Seemannsheim nicht gerechnet: Die wenigen Stühle im Saal sind von älteren Menschen belegt, drumherum drängen sich Leute Anfang dreißig mit Notizblöcken und Mikrofonen. Die, die hier einfach nur einen Koffer ersteigern wollten, können einem leidtun.
Vorne im Raum steht ein kleiner Tisch, beladen mit zwei alten Koffern und einem Seesack. Was drin ist, weiß man nicht, bis man selbst einen ersteigert. Von Gold und Diamanten über Schrumpfköpfe und Reptilienhäute ist alles möglich.
„Scheint ja die Sensation zu sein“, raunt eine Frau ihrer Nachbarin zu. Sie will einen Koffer ersteigern – wegen des Koffers an sich, nicht wegen des Inhalts.
Und dann geht’s los: Leicht erhöht stehen die Heimleiterin und ihr Mitarbeiter hinter einem Treppengeländer. Sie hat einen Holzhammer in der Hand, er hievt den ersten Koffer aufs Geländer. Ein älteres Modell, grau und abgewetzt. „Wiegt ungefähr 10 Kilo und kann alles drin sein!“, kommentiert der Mitarbeiter und ruft: „Wer bietet fünf Euro?“
Die Gebote kommen schnell. In Fünf-Euro-Schritten wird geboten, die Medienleute machen auch mit. „Sechzig Euro, zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten, verkauft!“ Die Heimleiterin haut den Holzhammer aufs Treppengeländer und der Koffer geht an eine junge Frau mit mintgrüner Jeans und kurzen Haaren. Es folgen der Seesack und ein Umzugskarton. Und dann das Sahnestück: Eine Seemannskiste. Sperrig und massiv thront sie auf der Reling, äh dem Treppengeländer. Dreißig Kilo schwer, schätzt der Versteigerer: „Wer bietet fünfzig Euro?“
Innerhalb kürzester Zeit ist die Kiste bei hundertfünfzig Euro. Den Zuschlag bekommt ein Mann mit gestreiftem Hemd und Sonnebrille, für zweihundert und fünf Euro. Die Medienleute stürzen sich auf ihn. Er sagt nix.
Am Ende ist die Neugier aller Anwesenden groß, aber niemand will seine Beute auspacken. Einer gibt sich schließlich geschlagen. Zum Vorschein kommen alte Klamotten. Und – der Besitzer stöhnt: „Och nöö, ein Bayerntrikot!“