: Lieber Frau als Russe
Ich arbeite als einziger heterosexueller Barkeeper in einer Schwulenbar und kann mir nur schwer vorstellen, woanders zu arbeiten. Das Arbeitsklima ist lockerer und weniger aggressiv als in Heterobars.
Das heißt nicht, dass Schwule keine anstrengenden Gäste sein können. Sie sind anspruchsvoller als Heteros und achten mehr auf die Etikette. Ich finde auch, dass Schwule mehr Trinkgeld zahlen und dankbarer sind.
Was ich definitiv von Schwulen gelernt habe, ist ein offenerer Umgang mit Sex. Sie müssen sich viel mehr mit ihrer Sexualität auseinandersetzen, weil ihnen ständig signalisiert wird, dass sie nicht „normal“ sind. Bei Heteros habe ich oft das Gefühl, dass sie ihre Sexualität einfach so ausleben, wie sie es über Jahre gelernt haben. Vielleicht habe ich auch deshalb einen so guten Draht zu Schwulen, weil ich mich mit meinem russischem Migrationshintergrund sehr gut mit ihnen identifizieren kann. Wir gehören zu einer Minderheit. Wobei ich aber auch schon von Schwulen diskriminiert wurde mit Sätzen wie: „Du Hete gehörst ja nicht wirklich dazu.“ Gelegentlich werde ich von Gästen „kleine Russin“ genannt. Da stört mich weniger die Verweiblichung als der Verweis auf meine Herkunft. Denn ich betrachte Russland derzeit sehr kritisch. Vor allem, weil dort Homosexuelle brutal verfolgt werden.
Aber auch hierzulande müssen Schwule für Dinge kämpfen, die für die Mehrheit selbstverständlich sind. Heteros sollten erkennen, dass die eigene Freiheit eine Errungenschaft ist, anstatt sich nur auf ihrer Normalität auszuruhen.
Der Patenonkel meines vier Monate alten Kindes ist schwul. Ich habe ihn nicht primär deshalb ausgesucht. Aber mir ist es wichtig, dass mein Kind mit jemandem zu tun hat, der von der Norm abweicht. So lernt es die Welt aus verschiedenen Perspektiven kennen.
(Protokoll: Philipp Rhensius)
■ Kirill ist seit 8 Jahren Barkeeper in der Betty F***Bar in Berlin