: berliner szenen Nach Hause joggen
Ein Kerzlein brennt
Das Golden Gate war supervoll. Ein Isländer mit unbewegtem Gesicht spielte Bluesmusik. Es ging darum, den ersten Advent mit der Präsentation eines Suhrkamp-Bands zu begrüßen. „Driving Home“ versammelt Geschichten, die vom Nachhausefahren zu Weihnachten handeln.
Die Autoren sind unter vierzig, eher freiberuflich-bohemistisch und ohne eigene Familie, die sie berechtigen würde, nicht zu den Eltern zu fahren. Einer der Herausgeber, Stefan Rehberger, ist Autor von Drehbüchern und Kurzgeschichten, was so lange wiederholt wurde, bis er endlich auf die Bühne trat. Sein Text verhandelte szenisch alle Aspekte des Themas: die eigene Nostalgie, den „Sorgenpudding der Eltern“, das Treffen ehemaliger Mitschüler usw. – und schien deshalb etwas glatt. Als Reimund mit zwei Dosen Red Bull auf die Bühne trat, riefen manche anfeuernd: „Spitzer, Spitzer!“ Reimund Spitzer, der Leiter des Golden Gate, ist ein ziemlich guter Typ. In seinem Text begegnet er joggend einem hübschen Mädchen vom Land, wo es „keine Drogen, keine Psychokacke, keine Partys“ gibt, und ist ein wenig angeekelt von der pausbäckigen Promiskuität der nachwachsenden Jugend.
Dann las Linus Volkmann einen agressiven, zugleich lustigen Text vor, in dem ursprünglich der Satz „Danke Frank Schirrmacher, du Arschloch“ gestanden hatte. Der war ihm aber rausredigiert worden. Weil ein angesehener Verlag wie die Wohnstube eines gutbürgerlichen Hauses ist, in dem man zwar unbarmherzig über die Eltern kleiner Herkunft sprechen kann, aber Medienmachtmenschen beleidigen nicht geht. Später wurde der Suhrkamp-Lektor von einem betrunkenen und schweren Autoren bedrängt, der sich ihm auf den Schoß setzte. DETLEF KUHLBRODT