Rücksturz ins Grauen

GESUNDHEIT Chaos in der Seele und massive psychische Verletzungen nach Auslandseinsätzen: Die Hilfen für traumatisierte Bundespolizisten reichen nicht aus, meinen Kritiker. Die Bundeswehr ist da weiter

„Bis heute hat sich niemand aus meiner Dienststellenleitung bei mir erkundigt“

PETER BECK, POLIZIST

Es sind Bilder, die Peter Beck einfach nicht mehr aus dem Kopf bekommt: Ein toter Säugling, aus einem fahrenden Auto geworfen. Von Ratten angefressene Leichen in der Gerichtsmedizin. Der Amoklauf eines jordanischen UN-Polizisten, bei dem vier Menschen starben. Der Bremer Bundespolizist war mehrfach bei friedenserhaltenden Auslandseinsätzen im Kosovo im Einsatz. „Da habe ich viel Leid, Tod und Gräuel gesehen“, sagt der 47-Jährige, der seit einiger Zeit krankgeschrieben ist. „Posttraumatische Belastungsstörung“ (PTBS) lautet die Diagnose.

Psychische Erkrankungen nach traumatischen Auslandseinsätzen sind bisher meist nur von Soldaten bekannt. Aber es gibt sie auch bei der Bundespolizei. Wer Zeuge massiver Gewalt war, wird belastende Szenen oft nicht mehr los. Flashbacks und Alpträume durchziehen den Alltag, machen das Leben schwer. „Das kann so sein, muss aber nicht“, schränkt die Bremer Psychotherapeutin und Traumaexpertin Ingrid Koop ein. „Der Mensch ist darauf ausgelegt, ein Trauma zu überwinden.“

Manchmal aber gelingt das nicht. Wenn Peter Beck aus den Missionen zu kurzen Urlauben nach Bremen zurückkam oder ein Einsatz beendet war, spürte er Anpassungsschwierigkeiten. „Dank meiner Frau, unseren Kindern und Freunden fasste ich aber immer wieder Fuß.“ Eine Weile schien alles klar. Doch dann, im Herbst 2011, erschoss sich ein Polizeischüler auf der Diensttoilette des Reviers der Bundespolizei am Bremer Flughafen. Davon bekam Beck zunächst nichts mit. Zwei Tage später ging er in den Toilettenraum, noch immer war Blut zu riechen. „Ich bekam heftigste Flashbacks. Ich hatte den Eindruck, den Tod riechen zu können.“ Beck wurde antriebslos, dann wieder aggressiv, hatte Angst vor Überreaktionen mit der Dienstwaffe.

Bis heute ist er wegen PTBS krankgeschrieben und kämpft dafür, dass traumaerkrankte KollegInnen besser versorgt werden. „Hilfen und Therapien musste ich mir selbst suchen und zum Teil auch selber bezahlen, die Anerkennung als Dienstunfall dauerte lang“, kritisiert Beck. Ärztlicher Dienst und Heilfürsorge der Bundespolizei hätten ihm nicht geholfen. Jetzt stellt er erleichtert fest, dass sich etwas bewegt.

Die Bundespolizei habe „umfangreiche Vorsorge für eine angemessene Behandlung möglicher PTBS getroffen“, heißt es beim Bundespolizeipräsidium. Ein Kriseninterventionsteam mit Ärzten, Seelsorgern, Sozialwissenschaftlern und fachkundigen Polizeikollegen könne im Notfall innerhalb von 24 Stunden vor Ort Hilfe leisten.

Und doch reicht das nicht, sagt Martin Schilff, Personalrat der Gewerkschaft bei der Bundespolizei. Indizien dafür liefert ein Vergleich mit der Bundeswehr, die im Internet mit wenigen Klicks konkrete Daten, eine Telefon-Hotline und einen Online-Test für erste Anhaltspunkte bietet. Bei der Bundespolizei findet sich so schnell nichts. Eine konkrete Zahl der Betroffenen lasse sich nicht benennen, heißt es offiziell. Der Gewerkschafter Schilff sagt, PTBS sei unter den rund 41.000 Bundespolizisten zwar kein Massenphänomen, doch es gebe eine erhebliche Dunkelziffer. Seit langem fordert die Gewerkschaft eine rund um die Uhr besetzte zentrale Stelle. Schilff sieht zusätzlichen Personalbedarf in der sozialmedizinischen Begleitung und bei Psychologen.

„Eine PTBS kann auch erst Jahrzehnte später ausbrechen“, sagt Traumaexpertin Koop. Vorbildliche Hilfen gibt es nach ihrer Beobachtung bei einigen Feuerwehren. „Es ist gar nicht so wichtig, wie schlimm das traumatische Erlebnis war“, sagt Koop, „sondern was unmittelbar nach Ausbruch der PTBS passiert.“ Genau da hapert es nach Becks Erfahrungen bei der Bundespolizei. „Bis heute hat sich niemand aus meiner Dienststellenleitung bei mir erkundigt, wie es mir eigentlich geht.“ Beck will nun ein Netzwerk für die Selbsthilfe aufbauen.  (epd)